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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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einer Liste gesuchter Personen?
    Schließlich ergriff Lu See die Initiative und suchte die nächstgelegene Polizeistation auf. Dort erklärte sie, dass ihre Tochter schon vor Wochen aus dem Dschungel zurückgekehrt, aber am Denguefieber erkrankt gewesen sei.
    »Aiyoo!«, sagte der wachhabende Sergeant. »Das Denguefieber ist eine schreckliche Krankheit, meh ? Meinen Bruder hat es letztes Jahr erwischt. Man nennt es nicht umsonst die knochenbrechende Krankheit. Geht es Ihrer Tochter jetzt wieder besser?«
    »Ja, es geht ihr wieder gut.«
    »Hier, ich werde jetzt gemeinsam mit Ihnen dieses Formular ausfüllen und es dann an unseren Nachrichtendienst schicken. Wann sagten Sie, ist Ihre Tochter zurückgekommen?«
    »Vor ungefähr fünf Wochen.« Sie log, nannte einen erfundenen Tag. Er setzte das Datum mit Bleistift ein.
    »Und sie ist freiwillig nach Hause zurückgekehrt?«
    »Ja. Wird man sie in ein Rehabilitationslager schicken?«
    Der diensthabende Sergeant verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht. Dorthin schicken sie nur die höheren Offiziere der Guerillas. Aber ich denke, dass man sie noch einer Befragung unterziehen wird. Sie ist sozusagen auf Bewährung. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich werde Sie anrufen.«
    »Und ihr wird nichts geschehen?«
    » Ai-yahh! Machen Sie sich keine Sorgen, lah . Der Notstand ist aufgehoben. Es gibt jetzt andere Dinge, die für dieses Land wichtiger sind.«
    Mabel ging eine Woche später zu dem Verhör und erhielt tatsächlich den roten »All-clear«-Stempel in ihren Pass. Sie erwähnte nicht, dass sie Bong Foo nahe gestanden hatte. Und selbst wenn der Polizei dieser Umstand bekannt gewesen wäre, war sie entschlossen, sich nicht selbst zu belasten. Sie sagte vielmehr, dass sie die kommunistische Sache im Grunde nie verstanden habe. Sie habe sich dem Gruppendruck unterworfen und sich irgendwie zum Mitmachen überreden lassen. Jetzt schäme sie sich, weil sie ihrer Familie Schande bereitet habe. Sie behauptete, dass sie sich schon vor ein paar Monaten habe stellen wollen, dass der Anführer ihrer Einheit ihr aber damit gedroht habe, sie auf der Stelle zu erschießen.
    »Ich war die Sanitäterin, verstehen Sie. Ohne mich wären die Männer an allen möglichen Infektionen gestorben. Außerdem habe ich auch verwundete feindliche Soldaten versorgt. Ich habe also auf beiden Seiten Leben gerettet. Ich habe niemals eine Waffe gegen einen Soldaten des Commonwealth erhoben.«
    Sie behauptete außerdem, dass sie schreckliche Angst vor ihrer Mutter gehabt habe. »Ich wusste, dass sie einen Riesenaufstand machen würde, wenn ich nach Hause komme, also habe ich meine Rückkehr immer wieder hinausgeschoben.«
    Die Männer, die das Verhör durchführten, sagten, es sei ihnen durchaus bekannt, dass chinesische Mütter sehr streng sein konnten. Sie lachten, als Mabel ihnen erzählte, wie oft ihre Mutter ihr mit einem Holzlineal den Hintern versohlt habe. Nach diesem kurzen Heiterkeitsausbruch wurden ihre Gesichter aber schnell wieder ernst.
    »Sie zeigen tätige Reue«, sagte der leitende Vernehmungsbeamte. »Ihnen wird jedoch zur Auflage gemacht, während der nächsten zwölf Monate einmal wöchentlich hier zu erscheinen und sich beim Offizier vom Dienst zu melden.«
    Nachdem sie diese Nervenprobe hinter sich gebracht hatte, kehrte Mabel nach Hause zurück.
    Sie versuchte, sich allmählich in das Alltagsleben einzufügen. Aber nachdem sie so lange im Dschungel gelebt hatte, fiel es ihr schwer, sich wieder an das Leben in der Stadt zu gewöhnen. Allein schon ihre Zivilkleidung, die sie so lange nicht mehr getragen hatte, fühlte sich irgendwie merkwürdig an. Und wenn sie sich nackt in dem mannshohen Spiegel betrachtete, sah sie eine Fremde vor sich – ihre Rippen standen hervor, und ihre Arme waren dünn wie Besenstiele. An ihren Füßen hatte sie noch immer nässende Blasen. Sie berührte die Narben auf ihrer Schulter. Rote Striemen wie verschrumpelte Chilischoten. Die Verletzungen an ihrem Arm, die ihr der Python zugefügt hatte, waren inzwischen vollkommen verheilt, aber als sie jetzt über ihre Oberschenkel und ihr Schambein strich, fragte sie sich, ob ihre Periode jemals wieder einsetzen würde. Da sie sich wochenlang nur von dem Wenigen ernährt hatten, was sie im Dschungel gefunden hatten, war ihre Regel irgendwann ausgeblieben.
    Wo sie auch hinging, sie bewegte sich stets so leise, wie sie es im Dschungel gelernt hatte. Es fühlte sich für sie seltsam an, auf trockenem Boden zu laufen

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