Das Haus der toten Mädchen
Karosserie. Sie nahm den Fuß vom Gas und fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar. Sie hatte kein Mobiltelefon dabei: Hier oben in den Hügeln von Nord-Vermont deckten die Senderstationen einfach nicht genug Fläche ab. Auf ein Handy zu verzichten war eines der Opfer, die sie für ein Leben auf dem Lande gebracht hatte. Das – und ein Auto mit Allradantrieb zu kaufen …
Sie starrte auf den Schaltknüppel. Sie hatte den Allradantrieb nie eingesetzt, seit sie ihn beim Gebrauchtwagenhändler ausprobiert hatte, aber er war ganz einfach zu aktivieren. Sie drückte den Knopf auf dem Knüppel und sah verzückt die Kontrolllampe aufleuchten.
Wieder legte sie den Rückwärtsgang ein und setzte ganz vorsichtig den Fuß aufs Gas. Einen Moment lang kroch der Wagen rückwärts, dann drehten die Reifen durch, und sie rutschte wieder nach vorn.
Sophie kniff die Augen zusammen und machte sich auf das Schlimmste gefasst, aber das Auto blieb gerade noch rechtzeitig zitternd stehen, und sie öffnete die Augen wieder und atmete durch. Dann legte sie den zweiten, niedrigeren Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal durch.
Zu ihrer Verwunderung bewegte sich ihr Gefährt rasch rückwärts, wobei Schlamm, Erde und Kies in alle Richtungen spritzten, und sie hatte gerade noch die Geistesgegenwart, auf die Bremse zu steigen, bevor sie den nächsten Baum rammte.
Das Auto scherte seitlich aus, aber das konnte Sophie jetzt nicht mehr erschüttern. Sie stand mitten auf der Route 16, kurz vor Hampstead, und sie hatte es geschafft, sich um 180 Grad zu drehen, so dass sie in Richtung Colby blickte. Und das war genau das Ziel, nach dem ihr jetzt der Sinn stand: so schnell wie möglich zurück nach Hause.
Sie drehte den Zündschlüssel. Der Motor stotterte einen Augenblick und ging aus. „Nein!“ wimmerte Sophie. Auf der Route 16 war um diese Zeit praktisch nichts los, aber das war keine Garantie dafür, dass niemand um die Ecke schießen und sie rammen würde. Der Betrunkene hatte genau das getan.
„Bitte spring an“, flüsterte sie. „Bitte, bitte, bitte!“ Diesmal zündete die Maschine, Sophie legte den ersten Gang ein und raste schlitternd die leere Straße entlang.
Ihr Gesicht war nass, was sie wunderte: Schließlich hatte sie es gar nicht geschafft, aus dem Auto und in den Regen zu gelangen. Sie betastete ihren Kopf und schaute dann ihre Hand an. Blut lief über ihre Finger und tropfte auf ihren Schoß.
Tatsächlich tat ihr Kopf höllisch weh, wie sie jetzt erst bemerkte. Ihr war nicht ganz klar, wie sie sich trotz des Sicherheitsgurts hatte verletzen können, aber Tatsache war, dass ihr Blut über die Schläfe lief.
Sie konnte sich so nicht zu Hause blicken lassen: wie irgendein Ding aus einem Horrorfilm. Aber sie wollte auch nicht nach St. Johnsbury oder Newport ins Krankenhaus fahren. Vielleicht war Doc noch wach, wenn sie in Colby ankam; er würde sie sicher so weit zusammenflicken, dass Grace bei ihrem Anblick keinen Herzinfarkt bekäme, falls sie noch auf war oder wieder einmal nachts durchs Haus wanderte.
Sie sollte wohl zur Polizei gehen und den Vorfall melden, aber was brächte das? Sie hatte das andere Auto nicht richtig erkannt – nur dass es ihr riesig vorgekommen war, wusste sie. Es konnte ein Minibus oder ein Pritschenwagen gewesen sein.
An dieser Art von Aufmerksamkeit lag ihr im Augenblick überhaupt nichts. Die Stonegate-Farm war ein brandneues Unternehmen. Wenn es jetzt ungünstige Berichte in der Presse gab, würden womöglich einige Leute ihre Reservierungen rückgängig machen.
Sie fuhr jetzt besonders vorsichtig über das lange, leere Stück Highway nach Colby hinunter. Sie war normalerweise so umsichtig, immer Papiertücher im Wagen zu haben, aber Marty hatte sie sich bei ihrem letzten Allergieanfall unter den Nagel gerissen. Sophie versuchte, das Blut mit ihrem Rocksaum abzutupfen, aber das brachte nicht viel. Wenigstens tropfte es ihr nicht in die Augen.
Es war nach zehn, als sie den winzigen Ortskern durchquerte, am verlassenen Stadtpark vorbeifuhr und die Straße zum See hinauf einschlug. Docs Haus lag dunkel da, die Tür war geschlossen, nur hinter einem Fenster im Obergeschoss brannte ein schwaches Licht. Sie wusste, dass er aufstehen und ihr helfen würde, aber im Moment kam ihr ihre Verletzung nicht gravierend genug vor, um eine solche Störung zu rechtfertigen. Also hielt sie nicht an, sondern umklammerte fest das Lenkrad und fuhr geradeaus weiter.
Sie schaffte es fast bis nach Hause.
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