Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
dafür, wie ängstlich es klang.
Griffin lockerte seinen Griff und ließ die Kerze fallen. Einige Augenblicke lang beleuchtete sie das tiefer liegende Mauerwerk, dann erlosch sie wie eine Sternschnuppe.
Jac zitterte. Sie bebte am ganzen Körper, als sei sie ohne Winterkleidung in einen Schneesturm geraten. Ihr war klar, dass es nur ein Symptom ihrer Phobie war, doch sie konnte es nicht unterdrücken. Weit, weit unten war leise der Aufprall der Kerze zu hören.
»Warum hast du das gemacht?«, fragte Jac.
»Ich wollte messen, wie lange es dauert, bis sie unten aufkommt. Damit ich weiß, wie tief der Schacht ist.«
»Wie lange hat es gedauert?«
»Fast dreißig Sekunden. Der Schacht muss über dreißig Meter tief sein.«
Griffin zündete eine zweite Kerze an, beugte sich über den Rand und leuchtete erneut in die Tiefe.
»Es ist nur eine mit Moos und Flechten bewachsene Wand.«
»Nein, schau mal hier«, sagte Griffin.
Zögernd schob sich Jac ein Stück vor. Ihr Herz schlug schneller. Sie konnte nicht erkennen, worauf Griffin zeigte. »Wo denn?«
»Siehst du die Einkerbung da?«
Jetzt sah sie einen halben Meter tiefer eine Einbuchtung im Mauerwerk. »Und was ist das?«
»Das sind Stufen.«
Er streckte sich noch tiefer hinab. »Da ist die nächste, siehst du? Wie eine Wendeltreppe. Wahrscheinlich führt sie bis ganz nach unten.«
»Wir müssen da runter. Wir müssen ihn suchen.«
»Ich weiß, aber nicht jetzt.«
»Warum nicht?«
»Wir sind nicht vorbereitet.« Er wies auf Jacs Schuhe und ihre Kleidung. »Wir brauchen Schuhe zum Klettern und Helme mit Beleuchtung. Ein Seil. Und natürlich einen Erste-Hilfe-Kasten, falls Robbie verletzt ist.«
Jac war alles andere als einverstanden, doch seine Erfahrung wog mehr als ihre Ungeduld.
»Wir steigen erst runter, wenn wir richtig ausgerüstet sind. Wenn uns etwas zustößt, können wir Robbie auch nicht helfen.«
»Selbst wenn ich wüsste, wo man die Sachen bekommt, hat doch jetzt nichts mehr auf.«
»Es tut mir leid, aber wir werden bis morgen warten müssen. Wir können ja nicht einmal sehen, wo wir hintreten. Könnenunseren Rückweg nicht markieren. Wir wissen überhaupt nicht, wie es da unten aussieht; vielleicht verläuft man sich dort.«
Trotz der kühlen Abendluft brach Jac der Schweiß aus. Sie hatte Angst, doch das war ihr jetzt egal. Robbie hatte ihr eine Botschaft hinterlassen. Er war alles, was sie hatte. Sie hatte schon gegen mächtigere Dämonen gesiegt, gegen Visionen und Alpträume, die sie fast den Verstand gekostet hatten. Man hatte sie in Kliniken eingewiesen, mit Elektroschocks behandelt und mit Medikamenten vollgepumpt. Mit einem Schacht würde sie schon fertig werden.
Obwohl sie gerade noch Griffin zugestimmt hatte, dass sie warten mussten, ging sie in die Knie und kroch rückwärts auf die Öffnung zu.
Griffin packte sie am Handgelenk, so stark, dass der Schmerz ihren ganzen Arm durchfuhr, und zog sie weg.
»Du tust mir weh!«, japste sie.
Er ließ sie los. »Bist du jetzt total übergeschnappt?«, fragte er aufgebracht. »Warum hörst du nicht ein einziges Mal auf mich?«
Jacs Herz raste, und sie rang nach Luft. Zitternd setzte sie sich auf den feuchten Boden und lehnte sich an die Hecke. Ihr Arm schmerzte. Mühsam hielt sie die Tränen zurück. Vor Griffin loszuheulen war das Letzte, was sie jetzt wollte.
»Wenn Robbie nach da unten geflüchtet ist, ist er dort mindestens so sicher wie anderswo«, sagte Griffin. »Niemand kann von dem Versteck wissen. Er wird noch eine Nacht ohne uns zurechtkommen. Morgen gehen wir runter.«
Sie nickte stumm.
»Versprochen«, sagte Griffin.
Die Erinnerungen, die dieses letzte Wort in ihr wachrief, waren zu viel für Jac. Eine erste heiße Träne lief ihr die Wange hinunter. Sie wandte sich ab. Noch eine Träne.
Sie spürte Griffins Hand auf ihrer Schulter.
»Komm, ich helfe dir auf. Tut mir leid, dass ich so fest zugepackt habe. Ich hatte Angst, dass du fällst.«
Ohne die Hand zu nehmen, die er ihr hinhielt, rappelte Jac sich auf, wischte sich die Hände an der Jeans ab und ging zurück zum Haus.
Dreiunddreißig
21:15 UHR
Wenn Malachai in Paris war, buchte er immer dieselbe Suite im »L’Hotel«. Dort fühlte er sich zu Hause. Die rot-goldenen Brokatvorhänge und der passende Bettüberwurf gingen noch auf die Zeiten der Monarchie zurück. Die Kristalllüster waren immer auf Hochglanz poliert, die Bettbezüge frisch gebügelt.
Malachai öffnete ein Fenster und sah über
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