Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
vergessen, oder?« Er hatte eine Frage gestellt, doch sie klang wie ein Geständnis.
Jac wusste nicht, ob sie darauf antworten sollte. Und wenn ja, wie. Ihre Gefühle hatte sie so tief in sich vergraben, und sie waren so persönlich, dass es ihr fast obszön vorgekommen wäre, darüber zu sprechen.
Griffin beugte sich vor. Sie roch seinen Duft. Das Parfüm der Bestrafung.
»Dieses Eau de Cologne wird schon seit Jahren nicht mehr verkauft. Und du trägst es immer noch?«
»Ich habe nie eins gefunden, das mir besser gefallen hätte, also hat dein Bruder die Zusammensetzung analysieren lassen und es für mich neu zusammengemischt. Immer wenn mein Vorrat zur Neige geht, füllt er ihn wieder auf.«
Jac hörte selbst, dass ihr Lachen ein wenig hysterisch klang. Während sie all die Jahre halbleere Flaschen auf Flohmärkten aufgestöbert und Erinnerungen nachgejagt hatte, hatte Robbie Griffin getroffen und ihn ständig mit frischem Nachschub versorgt.
»Was hast du, Jac? Sag es mir.«
Jac hob die Hände. Sie konnte ihre Gedanken nicht ordnen, wusste selbst nicht, was sie dachte. Sie schüttelte den Kopf.
Griffin rückte seinen Stuhl ein Stück um den Tisch herumund stellte sein Weinglas neben ihres. Dann beugte er sich vor, als wollte er ihr ein Geheimnis erzählen.
Dann, plötzlich, berührten seine Lippen die ihren, und sie atmete nicht nur seinen Geruch, schmeckte nicht nur den Wein, sondern erinnerte sich in allen vergessen geglaubten Einzelheiten daran, wie es sich anfühlte, mit ihm zusammen zu sein. Wie er, wenn sie sich küssten, mit beiden Händen ihren Kopf umschloss. Wie seine Lippen sich auf ihren bewegten. Ihre Nähe, ihre Zweisamkeit war untrennbar in Jacs innerstes Wesen eingewoben. Die Erinnerung saß so tief, dass Jac kaum daran zu denken wagte, wo es sie hinführen würde, wenn sie diesen Faden aufnahm und ihm folgte. Seine Hände auf ihren Wangen, sein Atem, sein Haar auf ihrer Haut – all das war ihr auch auf andere Weise vertraut. Daran hatte sich Marie-Geneviève erinnert, als man sie im Fluss ertränkte. Daran dachte die ägyptische Prinzessin am Flussufer, als ihr Geliebter ihr sagte, dass man ihn töten würde.
Ertränken? Töten?
Jac schob Griffin so heftig von sich, dass er gegen seine Stuhllehne prallte. Er blickte sie erst erschrocken, dann fragend an.
»Du sahst so verängstigt aus, Jac. Ich wollte nicht …«
Sie schüttelte den Kopf. »Es geht hier nicht um mich. Es geht um Robbie.«
»Nein. Gerade ist irgendetwas mit dir passiert. Das habe ich dir angesehen. Was war es?«
»Vergiss das endlich!« Jac schrie fast. »Alles, was jetzt zählt, ist, dass wir Robbie finden.«
Der Kellner kam und servierte Jac ein Paillard vom Huhn und Griffin ein Croque Monsieur.
Eine Weile aßen und tranken sie, ohne viel zu sagen, bis Jac ihr Besteck beiseite legte. Ihr Teller war noch fast voll.
»Magst du wirklich nichts mehr essen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wenn meine Tochter nicht essen will, besteche ich sie immer.«
»Ich bin nicht deine Tochter, und ich wüsste wirklich nicht, womit du mich bestechen könntest.« Jac hatte es im Scherz sagen wollen, doch ihre Antwort klang verbittert.
Sie schob den Teller weg.
»Würdest du mir jetzt helfen, Robbie zu finden?«
»Ja«, sagte Griffin, ohne zu zögern.
Als Griffin und Jac das Restaurant verließen, bemerkte keiner von beiden die blasse junge Frau, die mit Kopfhörern in den Ohren an einem Tisch auf der Terrasse saß, Wein trank und Foie gras mit Weißbrot aß. Sobald sie durch die Tür traten, warf Valentine Lee ein paar Euros auf den Tisch und setzte ihnen nach.
Wie die Champs-Élysées war auch der Innenhof des Louvre immer voller Menschen. Es war leicht, sich in der Menge unsichtbar zu machen und dem Zivilpolizisten aus dem Weg zu gehen, der Jac und Griffin ebenfalls verfolgte. Valentine schlängelte sich im Zickzack zwischen den Passanten hindurch. Ohne ihre Beute aus den Augen zu lassen, umrundete sie eine Gruppe von Teenagern, die vor der Pyramide rauchten, SMS schrieben und telefonierten, und wich Touristen aus, um nicht auf ihre Fotos zu geraten.
Ihre Kopfhörer behielt sie wohlweislich auf. Eine Frau mit iPod war hier kein ungewöhnlicher Anblick. Doch sie hörte keine Musik. Die Richtantenne an ihrem Gürtel spielte ihr Motorgeräusche und Umgebungslärm zu. Das Gespräch zwischen Jac und Griffin konnte sie hier draußen nicht weiter mitverfolgen, beim Abendessen war der Empfang jedoch tadellos gewesen.
Wohin
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