Das Haus der verlorenen Herzen
Verbeugung.
»Dottore«, sagte er höflich. »Ich komme mit einer Einladung. Es lag nicht im Sinne von Dr. Soriano, seine Gastfreundschaft mit Katastrophen zu dramatisieren. Ich bedaure die widrigen Umstände sehr, aber die Menschen sind dumm und bleiben dumm und verhalten sich Argumenten gegenüber wie ein Gehörloser, dem man Puccini ins Ohr spielt. Rätselhaft.« Er nahm seinen weichen weißen Filzhut, hängte ihn über Annas Gewehrlauf und freute sich sichtbar über diesen Einfall. »Auf dem Flugplatz Cagliari wartet unser Firmenjet, Dottore. Ich bin beauftragt, Ihnen diesen Paß auf den Namen Ettore Lumbardi zu überreichen. Das Bild hat zwar keine Ähnlichkeit mit Ihnen – aber es kommt nur darauf an, daß Sie einen Paß haben, falls ein übereifriger Beamter kontrolliert. Auf Sizilien ist dann sowieso alles anders.«
»Sizilien …«, sagte Ernesto leise. »Maria mia! Die Zentrale!«
»Sie wollen meine Entführung also perfektionieren?« sagte Dr. Volkmar.
»Aber Dottore! Sie sind der Gast von Dr. Soriano. Die besten Schneider von Palermo werden schon morgen früh für Sie tätig sein. Zuallererst brauchen Sie einen weißen Smoking für die Gartenfeste und Partys.«
»Was will die Mafia von mir?« fragte Volkmar laut. Gallezzo machte ein Gesicht, als habe man ihn gegen das Schienbein getreten.
»Dottore, sprechen Sie nicht solche Worte aus! Mafia – das ist doch eine Sage! Wenn Journalisten keine Phantasie mehr haben, erfinden sie die Mafia!«
»Und wenn ich mich weigere, mitzukommen?«
»Er weigert sich!« schrie Anna wild und schleuderte Gallezzos Hut von dem Gewehrlauf. »Er weigert sich!«
Gallezzo blieb ruhig, er bekundete sogar ehrliches Erstaunen.
»Dottore, bitte erklären Sie mir, warum Sie Dr. Soriano beleidigen wollen, indem Sie seine Einladung ablehnen? Er verehrt Sie, bewundert Sie!«
»Mich? Verwechseln Sie mich nicht?«
»Ihre Forschungen über Organverpflanzungen …«
»Ist dieser Dr. Soriano etwa auch Mediziner?« Volkmar löste sich aus Annas Bewachung, aber sie folgte ihm mit angelegtem Gewehr so hautnah, daß er den Druck ihrer Brüste in seinem Rücken spürte.
»Rechtsanwalt. Wenn ich alle seine Titel und Ehrenämter aufzählen wollte, würde es Tag werden. Den Sonnenaufgang aber sollen Sie in Palermo erleben. Ein Morgenhimmel auf Sizilien kann wie Seide sein.« Gallezzo blickte Anna forschend an. Von Ernesto ging keine Gefahr mehr aus, er begriff die Situation. Aber ein Weibsbild, das liebt, ist eine Tigerin. »Er nimmt die Einladung an!« sagte er zu Anna.
»Sind Sie sicher?« Volkmar ging zur Tür und blickte hinaus. Vor der Treppe stand der Jeep mit Luigis Leiche. Drei Männer hatten sich darum gruppiert und rauchten seelenruhig. »Was haben Sie mit mir vor?« fragte er. »Nicht Sie, aber Ihre ›Gesellschaft‹! Ist das richtig so?«
»Beinahe, Dottore.« Gallezzo lächelte milde. So lächelnd hatte er Luigi das Ohr abgeschnitten. »Sie werden schöne Abende erleben, Musik, Tanz, elegante Frauen. Ein schönes Haus, direkt am Meer mit einem großen Park, wird Ihnen zur Verfügung stehen. Dr. Soriano ist berühmt für seine Gastfreundschaft und seine Feste.«
»Don Eugenio?«
»So nennen ihn gute Freunde. Sie werden dazugehören, Dottore. Können wir gehen?«
»Unter einer Bedingung!«
»Erfüllt!« sagte Gallezzo großzügig. Er besaß alle Vollmachten.
»Weder Anna noch Ernesto wird ein Haar gekrümmt! Ich verspreche Ihnen: Ich mache Ihnen die größten Schwierigkeiten, wenn sich das mit Luigi wiederholt!«
»Geh nicht!« schrie Anna und umklammerte ihn. »Enrico, geh nicht!«
»Wir können sie leider nicht mitnehmen«, sagte Gallezzo, als sei er darüber untröstlich. Dann griff er in die Rocktasche, holte ein Bündel Geldscheine heraus und legte sie auf den Tisch neben Ernestos Gewehr. Seiner Brieftasche entnahm er ein anderes Bündel mit großen Scheinen. Auch sie legte er neben das Gewehr. »Eine Anerkennung von Don Eugenio«, sagte er zu dem fassungslosen Ernesto. »Es sind genau eine Million Lire.«
»Damit könnt ihr Luigis Leben nicht zurückkaufen!« schrie Anna. »Mörder! Mörder! Eine Million für Luigi! Ich spucke darauf! Ich spucke!«
»Es wird schwer sein, aus ihr eine feine Dame zu machen«, sagte Gallezzo trübe. »Kommen Sie, Dottore. Sie müssen den Sonnenaufgang über Palermo erleben!«
Dr. Volkmar nickte. Er wandte sich ab, nahm Annas Kopf in beide Hände und küßte ihre Lippen. Sie ließ das Gewehr fallen und schlang die Arme um
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