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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihn. Jetzt endlich weinte sie. Sie sank auf die Steinbank neben dem Ofen, stülpte ein Lammfell über ihren Kopf und schluchzte in den Pelz hinein. Ernesto ging zu ihr, legte den Arm um sie und machte mit der anderen Hand Dr. Volkmar ein Zeichen.
    »Geh!« sagte er. »Geh endlich! Sie wird's überleben! Du mußt weg sein, wenn sie wieder klar denken kann …«
    Dr. Volkmar verließ die Steinhütte. Schnell ging er an Gallezzo vorbei, die Treppe hinunter. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, daß man Luigis Leiche weggetragen hatte. Gallezzo sprang hinter ihm her wie ein Füllen. Man sah ihm seine Sorgen nicht an. Die einzige kritische Situation konnte sich noch auf dem Flugplatz von Cagliari ergeben. Dort gab es Polizei genug. Aber er rechnete damit, daß Dr. Volkmar sein Leben doch so hoch einschätzte, daß er kein Risiko eingehen würde.
    Vier Stunden später donnerte der zweistrahlige Privat-Jet in den Nachthimmel, zog eine weite Schleife über Cagliari und stieg dann auf sechstausend Meter Höhe, um Richtung auf Sizilien zu nehmen.
    Über Funk, auf einem Kurzwellenband, war Palermo schon zu hören. Der Pilot schaltete den Decklautsprecher ein. Als er knackte, grinste Gallezzo verheißungsvoll.
    »Hier spricht Soriano«, sagte eine durch atmosphärische Störungen etwas verzerrte Stimme. »Mein lieber Dr. Volkmar, ich begrüße Sie als meinen Gast und wünsche Ihnen einen guten Flug. Ich freue mich und hoffe, daß Sie sich bei mir wohlfühlen werden. Wenn Sie Wünsche haben – es gibt kaum etwas, was ich Ihnen nicht erfüllen könnte. Ich freue mich auf unser gemeinsames Frühstück.«
    Es knackte wieder. Ende. Gallezzo nickte breit lächelnd.
    »So ist er«, sagte er in einem Ton, als spräche ein Kind vom zärtlichen Vater. »Dottore, Palermo wird Ihnen gefallen!«
    Mit der Morgenmaschine von Rom landete auf dem Flugplatz Cagliari die Assistenzärztin Dr. Angela Blüthgen.
    Was Volkmar nie erwartet hatte, was nach allem, wie er sie einschätzte, gar nicht zu ihr passen wollte, war geschehen: Als sie von dem Unglück auf Sardinien erfahren hatte, war Angela außer Fassung geraten und hatte sofort den nächsten Flug nach Rom und Sardinien gebucht.
    Es war eine Art Kurzschlußhandlung, nüchtern betrachtet. Denn was konnte man noch tun, da doch feststand, daß Dr. Volkmar im Meer ertrunken war.
    »Ich will die Stelle sehen!« hatte Angela gesagt. »Und wenn es in Australien oder sonstwo passiert wäre … ich muß dort sein! Nein, ich kann ihn nicht aus dem Meer holen – aber ich will … Ach, das versteht ihr ja doch nicht!«
    Es war ein fürchterlicher Gang zu einer der Garagen der Polizei, wo man Volkmars Sachen aufbewahrt hatte. Noch schrecklicher war es, vor dem Zelt und dem Auto zu stehen und zu sagen: »Ja, das ist sein Zelt. Ja, das ist sein Auto. Ja, diesen Trainingsanzug hat er getragen. Wir haben manchmal einen Dauerlauf am Isarufer gemacht, da hat er ihn getragen. Sonntag morgen. Das beste Mittel gegen einen Brummkopf. Ja, das sind seine Trainingsschuhe …«
    Sonntag morgen, dachte sie. Am Abend vorher ein Konzert- oder ein Theaterbesuch, das Essen in einem exzellenten Lokal, die Fahrt nach Harlaching, die halbe Flasche Sekt, das Bett und sein warmer, muskulöser Körper, und dann der Brand in allen Adern und Nerven, das erlösende Verströmen. Später dann, bei einer Zigarette, ihre Schutzbehauptung – immer wenn er von Liebe sprach: »Man soll biologische Vorgänge nicht überschätzen …«
    O Heinz, Heinz, wenn ich all die dummen Worte rückgängig machen könnte! Diese verdammte Pose, diese idiotische Emanzipation! Was hat sie mir eingebracht? Was bin ich jetzt? Eine heimliche Witwe … So zerbrochen fühle ich mich!
    Sie saß im Sand, in der kleinen Bucht beim Capo San Marco, genau auf der Stelle, wo das Zelt gestanden hatte, und blickte über das schillernde Meer. Da lag noch eine Konservendose. Brechbohnen. I. Wahl. Fadenfrei. Sein letztes Essen?
    Sie nahm die Blechbüchse, starrte hinein und drückte ihre Lippen auf das zerbeulte Ding. Sie kam sich gar nicht kindisch vor, sie weinte in sich hinein und haßte sich selbst wegen ihrer vielen Fehler.
    In den Bergen hatten Anna und Ernesto ihren Bruder Luigi begraben. Daß ein Mensch stirbt oder getötet wird, ist ein Vorgang, den man hinnehmen muß. Aber als sie im ersten Morgenlicht Luigi betrachteten und sahen, wie man ihn getötet hatte, als sie die Stiche sahen, das abgeschnittene Ohr, die Wunden seines Martyriums, blickten sie sich

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