Das Haus der verlorenen Herzen
über den steinigen Boden hüpfte. Im Scheinwerferlicht erkannte er klar, daß der Pfad, je höher man kam, für jeden Unkundigen lebensgefährlich wurde. Rechts fiel der Abgrund ab, links beulten sich die Felsen in den Weg. Mit einem Maultier oder einem Esel war diese Strecke zu schaffen, aber für einen Wagen, selbst für einen Jeep, war es unzumutbar.
»Mein Freund!« sagte Gallezzo zu Luigi über die Schulter hinweg, »wenn du uns ins Leere führst … tu das nicht! Überleg es dir! In Asien haben sie eine Methode entwickelt, den Menschen die Haut abzuziehen wie einem Hasen. Ich kenne mich da aus. Luigi, Brüderchen, sei kein Held!«
»Es ist der Weg!« Luigi keuchte. Er dachte an Ernesto und Anna und ob es wirklich nicht besser wäre, nichts mehr zu sagen und für sie zu sterben. Aber dann sagte er sich, daß diese vier Männer auch ohne ihn das Bergversteck finden würden, daß sie nur zu warten brauchten, bis Ernesto herunterkam, um in Sorgono nach ihm Ausschau zu halten. »Such ihn!« würde Anna sagen. »Unser Großer säuft schon wieder!« Und Ernesto war schon gar kein Held, der würde reden, schon nach dem ersten Messerstich. Es war ein Fehler gewesen, den deutschen Dottore zu entführen. Er sah es jetzt ein. Wie friedlich war das Leben gewesen, als man nur stahl oder die Fremden betrog.
Der Jeep keuchte und schüttelte sich, aber was keiner für möglich gehalten hatte: er schaffte es. Plötzlich wurde der Pfad etwas breiter, auch lagen nicht mehr so viele Steine herum. Man näherte sich dem Plateau und dem Haus.
Luigi straffte alle Muskeln, soweit es die Schmerzen noch zuließen. Alles an ihm brannte und glühte, seine Nerven zitterten.
»Tatsächlich!« sagte Gallezzo zufrieden. »Da ist ein Haus, wie eine Burg, Luigi. Ein guter Platz!«
Luigi nickte. Aber plötzlich schnellte er hoch, riß den Mund auf und brüllte mit der ganzen Kraft, die er noch besaß: »Ernesto! Anna! Gefahr! Gefahr!«
Der Mann neben Gallezzo schüttelte den Kopf. Er riß Luigi an den Haaren nach vorn und stieß ihm das Messer zwischen den Rippen in die Brust. Es traf exakt das Herz, Luigi hustete laut und fiel dann in sich zusammen. Er war schon tot, als Gallezzo den Zündschlüssel herumdrehte.
Eine Sekunde später sprangen die vier eleganten Herren aus dem Jeep und liefen, Haken schlagend wie die Hasen, auf das Steinhaus zu. Aus dem schießschartenähnlichen Fenster neben der dicken Bohlentür fiel der erste Schuß, er zischte Gallezzo nahe am Kopf vorbei. Der ließ sich sofort hinfallen und kroch an der Mauer entlang, die den Gemüsegarten einrahmte.
Dr. Volkmar stand neben Anna an einem anderen Fenster und beobachtete durch einen Schlitz in den massiven Läden die Terrasse. Sie hatten alle am Ofen gesessen, als Luigis Schrei ertönte. Es war verblüffend, wie schnell Ernesto und auch Anna ein Gewehr in der Hand hielten und an die Fenster sprangen. Dann schoß Ernesto sofort auf die schattenhafte Person, die sich laufend dem Hause näherte.
»Das war ein Fehler, Ernesto!« sagte Volkmar und versuchte, in der Dunkelheit vor sich etwas zu entdecken. »Sie haben mich gefunden, sie haben Luigi überführt. Es hat doch keinen Sinn, mit der Polizei Krieg zu führen.«
»Das sind keine Carabinieri!« rief Ernesto zurück. »Luigi hat nicht Polizei, sondern Gefahr geschrien! Das ist ein Unterschied! Man will dich uns wegnehmen, das ist es!«
»Laß sie nur kommen!« sagte Anna. »Laß sie nur kommen!« Sie schob den Gewehrlauf durch die Ritze des Fensterladens und beugte den Kopf nach hinten. »Das Haar hindert mich! Bind es fest, Enrico!«
Dr. Volkmar sah sich hilflos um.
»Nimm irgendeinen Strick, dort am Ofen …«
Er lief zu dem riesigen gemauerten Herd, holte ein Stück Hanfkordel, raffte Annas lange schwarze Haare zusammen und band den Strick darum. Jetzt hatte sie die Stirn frei und konnte besser sehen. Ernesto schoß wieder. Ein Schatten, links vom Gemüsebeet, bewegte sich.
Und dann sahen sie etwas, was ihnen das Herz stocken ließ: Der Jeep, von einem Mann von hinten geschoben, rollte vor das Haus, und auf der Kühlerhaube des Wagens lag in seltsam verrenkter Haltung Luigi. Sein Gesicht war ein bleicher Fleck.
»Sie haben ihn getötet …«, stammelte Ernesto. »Luigi! Luigi!« Er bekreuzigte sich, stieß mit der Stirn gegen die Steinwand und schluchzte. »Diese Schweine! Diese Teufel! Luigi …«
»Ich denke, eure Vendetta ist zu Ende?« sagte Volkmar heiser.
»Es sind andere.« Anna zuckte zusammen. Ein
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