Das Haus der verlorenen Herzen
sagte er. »Was gibt es hier für Überraschungen? Oder habt ihr jetzt eine Hure im Dorf?«
Stracia lachte laut, überflog den Zettel und wedelte mit ihm durch die Luft. »Und wer bezahlt?«
»Ich, du Trottel!« Luigi lachte zurück. »Warum soll ich nicht auch einmal Glück haben?«
Er verließ den ›Supermarkt‹, sah sich in der Dunkelheit fragend um und erhielt einen krachenden Schlag auf den Hinterkopf. Lautlos kippte Luigi um, zwei Männer schleiften ihn seitwärts zu dem klapprigen Jeep, und Gallezzo gab dem kleinen Mädchen hundert Lire. Es starrte den Geldschein entgeistert an.
»Du hast uns nicht gesehen«, sagte Gallezzo milde. Kinder zu töten, widerstrebte ihm. Er hatte, wie alle Italiener, ein großes Herz für Kinder und konnte mit den Kleinen von Dr. Sorianos Schwester stundenlang im Park der Villa am Meer spielen. Als es einmal nicht zu umgehen war und bei einer Brandstiftung – sie war die Warnung der ›Gesellschaft‹ an einen aufsässigen Kameraden – auch drei kleine Kinder in den Flammen umkamen, hatte Gallezzo einen Tag lang geweint und mußte von Dr. Nardo ärztlich betreut werden.
Mit dem Jeep fuhren sie Luigi aus Sorgono heraus, hielten an einem Gebirgsbach und steckten Luigis Kopf ins kalte Wasser. Er kam schnell zu sich, wollte um sich schlagen und treten, aber drei Männer hielten ihn fest, und der vierte – es war Gallezzo – stach ihm zur besseren Verständigung ein Messer in den Unterarm.
Luigi gab den Widerstand auf und lauerte auf eine Gelegenheit, davonzulaufen.
»Wir könnten Freunde werden, wenn wir nur vernünftig miteinander reden wollten«, sagte Gallezzo mit einer schrecklich gleichgültigen Stimme. Luigi kannte das, er war kein Anfänger, er genoß in Banditenkreisen einen seriösen Ruf, weil er noch nie – außer bei der Vendetta natürlich – einen Menschen umgebracht hatte. Er erweckte zwar den Anschein der Grausamkeit, aber wer ihn näher kannte, so wie Anna, seine Schwester, der wußte, daß er nach der systematischen Auslöschung seiner Familie und der notgedrungen darauf folgenden Auslöschung der feindlichen Familie Fardella einen ehrlichen Ekel vor Gewalttaten empfand.
»Ich höre!« knirschte Luigi. Er hing in den Armen der drei Männer wie in einem Schraubstock.
»Bei dir ist der deutsche Arzt Dr. Volkmar.«
»Nein!« sagte Luigi viel zu schnell.
Gallezzo wiegte den Kopf. »Luigi, wir wollen doch Freunde sein. Ist man unter Freunden unehrlich?«
Er nahm das spitze Messer und stieß es Luigi in die rechte Schulter. Nicht zu tief, gerade genug, um höllische Schmerzen zu erzeugen. Luigi bäumte sich in den Griffen auf, aber er schluckte den Schmerz herunter.
»Sei so nett und führ uns zu deinem Haus«, sagte Gallezzo freundlich. »Wir wissen, du hast noch einen Bruder Ernesto und eine Schwester Anna, und dann den lieben Gast aus Deutschland, den wir unbedingt sprechen müssen.«
»Ich kenne keinen Deutschen!« schrie Luigi.
»Und die hundert DM auf der Bank?«
»Gefunden. Am Strand.«
»Wo du das Zelt und das Auto des Dottore zurückgelassen hast. Luigi, warum müssen wir uns streiten?«
Gallezzos linke Hand schnellte vor, ein Blitzen des Messers und das Ohr war abgetrennt. Blut überströmte seine rechte Gesichtshälfte und floß über Hals, Rücken und Brust. Er stöhnte dumpf, senkte den Kopf und betete zur Madonna, sie möge ihm alle Sünden vergeben und ihre Hand schützend über Ernesto und Anna halten.
»Fahren wir«, sagte Gallezzo sanft. »Auf dem Weg wird dir einfallen, wo du Ernesto, Anna und Dr. Volkmar versteckt hast, Luigi. Du bist doch nicht geboren worden, um scheibchenweise zu sterben.«
Die Männer rissen Luigi hoch und schleppten ihn zum Jeep zurück. Gallezzo setzte sich ans Steuer und wartete darauf, daß Luigi etwas sagte. Man hatte ihn auf den Rücksitz gepreßt, und zwei Männer hielten ihn umklammert. Der dritte, der jetzt neben Gallezzo saß, hatte das Messer übernommen. Es war einer von denen, die so penetrant nach dem süßlichen Parfüm dufteten.
»Wohin?« fragte Gallezzo.
Luigi schwieg. Der Mann mit dem Messer stach zu, dieses Mal in die andere Schulter. »Luigi …«, sagte Gallezzo fast bedauernd. »Bedenke, daß deine Nase im Weg steht. Man kann sie verkürzen …«
»Der zweite Weg rechts«, sagte Luigi durch die zusammengebissenen Zähne. »Aber fünf Mann hält der Jeep nicht mehr aus. Es geht steil hinauf.«
»Wir wollen sehen.« Gallezzo fuhr an, fand die Abzweigung und fluchte, als der Jeep
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