Das Haus der verlorenen Herzen
Oberschenkel, nur knapp vorbei an der Stelle, die jeden Mann sofort in die Knie gehen läßt.
»Du Aas!« sagte der Steward und hielt sich an der Spülmaschine fest. »Glaubst du, dich holt ein Offizier ins Bett?!«
»Laß mich in Ruhe!« Anna räumte die schmutzigen Teller in die Halterungen des Spülbandes. »Such dir eine andere.«
»Du schwenkst wohl jeden Abend Weihrauch durch die Beine, was?« Der Steward humpelte an ihr vorbei zum Ausgang. »So schön bist du auch wieder nicht!«
Das sprach sich herum: Die Neue tritt. Man ließ Anna in Frieden, und in der Nacht hockte sie auf ihrem schmalen, harten Bett, unter ihr zitterten die Maschinen, es war heiß in dem engen Raum, denn hier gab es natürlich keine automatische Entlüftung, sie zog sich aus, legte sich nackt auf die rauhe Decke und streichelte ihre schönen Brüste, den Leib und das volle schwarze Kraushaar zwischen ihren Schenkeln.
Ich werde dich finden, Enrico, dachte sie. Laß mich erst in Palermo sein. Und auch dich werde ich finden, du Tier im Maßanzug. Du hast Luigi abgestochen. Wohin du auch läufst, du entkommst mir nicht! Ich will dich schreien hören. Schreien! Schreien! Und dann haben wir Zeit für uns, Enrico. Ich bringe dir als Geschenk meine Unberührtheit.
In Cagliari erhielt am späten Abend Dr. Angela Blüthgen Besuch von dem Kommissar, der den ›Fall Dr. Volkmar‹ bearbeitete. Er hatte es für angemessener gehalten, Angela im Hotel zu sprechen, als sie wieder ins Präsidium zu bestellen. Die Carabinieri von Cabras, die Dr. Blüthgen beobachtet hatten, gaben in ihrem telefonischen Bericht an, die deutsche Signorina habe über vier Stunden unbeweglich auf der Stelle gesessen, wo das Zelt gestanden hatte. Dann sei sie aufgestanden und mit gesenktem Kopf zu dem Leihwagen zurückgegangen.
»Ich bin gekommen«, sagte der Kommissar, »um Sie zu fragen, was mit den hinterlassenen Sachen geschehen soll.« Er sprach ein holpriges Französisch, ebenso wie Angela. Man hatte sich auf diese Sprache geeinigt, um miteinander sprechen zu können. »Wollen Sie alles mitnehmen? Wir stellen Ihnen eine polizeiliche Bescheinigung aus für den Fall, daß es irgendwo Schwierigkeiten geben sollte.«
»Ich bleibe hier!« sagte Angela Blüthgen. »Sie glauben wirklich an Unfall?«
»Etwas anderes ist nicht möglich, Madame.«
»Haben Sie das Meer gesehen, Herr Kommissar?«
»Ich kenne als Sarde doch unser Meer, Madame …«
»Ruhig, glatt, ohne große Strömung. In den ganzen Tagen war kein Sturm, kein Wetterumschwung. Und Heinz war ein vorzüglicher Schwimmer. Er konnte gar nicht ertrinken.«
»Wenn er zu weit hinausgeschwommen ist und hat einen Krampf bekommen? So passieren die meisten Unfälle im Meer, auch bei guten Schwimmern.«
»Als Arzt hätte er sich zu helfen gewußt.«
»Im Meer? Madame, bei Krämpfen sind alle gleich.«
»Ich glaube einfach nicht daran.« Angela hob die Arme und ließ sie wieder zurückfallen. »Ich weiß keine Erklärung dafür. Es ist ein Gefühl … Ich spüre, daß irgend etwas geschieht, was mit Heinz zusammenhängt, wenn ich hier bleibe. Sie können das nicht verstehen …«
»Ich verstehe Ihren Schmerz, Madame.« Der Kommissar hielt es für besser, die Unterhaltung abzubrechen. Für ihn zählten keine Gefühle, es gab nur die Tatsache, daß Dr. Volkmar verunglückt war. »Lassen wir also alle Sachen in der Garage.«
»Ja, bitte.«
»Das Auto können Sie benützen, wenn Sie wollen.«
»Danke.«
Sie nickte, als sich der Kommissar verbeugte und schnell das Hotelzimmer verließ. Eine schöne trauernde Frau greift auch einem Polizisten ans Gemüt.
Wo bleibt mein vielgerühmtes Realitätsdenken, fragte sie sich. Sie hockte in einem Sessel, aus dem Hotelradio flatterte schmalzige Musik, eine musikalische Kulisse, die sie nicht störte, eher etwas beruhigte. Der Verstand sagt: Er ist tot! Aber das Gefühl hofft und hofft, so lange man nicht seinen Körper gefunden hat. Vielleicht findet man ihn nie, und ich muß mit einem ungelösten Rätsel leben.
Ein paar hundert Meter weiter hatte der Südfruchthändler Oreto einen undankbaren Auftrag zu erfüllen. Er tat es nur, weil dabei fünf Millionen Lire heraussprangen, freilich auch, weil eine Drohung aus Sizilien vorlag, man könne auch Südfruchthandlungen in die Luft sprengen. Oreto war nicht nur klug genug, sondern auch ein vollkommener Italiener. Das genügte, um ihn diese Nachricht sehr ernst nehmen zu lassen.
In einer Ecke der Lagerhalle III lag ein Toter auf
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