Das Haus der verlorenen Herzen
doch tot!«
»Irrtümer kann man aufklären. Mein Angebot: Ich werde das Gastspiel bei Ihnen nie erwähnen.«
»Es geht nicht mehr, Dottore.« Soriano hob bedauernd beide Arme. »Übermorgen wird man an der Küste von Capo Mannu Ihre Leiche finden. Wir haben diesen Fundort strömungstechnisch ausgerechnet.«
Volkmar spürte, wie ein Kälteschauer über seinen Rücken glitt. Das Entsetzen hatte ihn übermannt. Er starrte in das blausilbern schimmernde Wasser des Swimming-pools und spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Sie töten und reden darüber, als habe man einen Cocktail gemixt.
»Eine Dummheit!« sagte er endlich mit gepreßter Stimme.
»Was?«
»Mich anschwemmen zu lassen! Die Gebißkarte bei meinem Zahnarzt wird den faulen Trick entlarven.«
»Halten Sie uns für Dilettanten, Dottore? Gestern nacht, als Sie tief schliefen – ich hatte Ihnen einen guten Drink servieren lassen! –, haben wir Ihren Mund geöffnet und Ihr Gebiß fotografiert. Die Leiche, die übermorgen angeschwemmt wird, wird die gleichen Plomben, die gleichen Spuren der Zahnbehandlung aufweisen wie Sie. Ihr Zahnarzt wird Sie mühelos identifizieren können. Das Gebiß wird übrigens das einzige Erkennungsmerkmal sein. Ihr Leichnam muß, während er im Meer trieb, mit einer Schiffsschraube kollidiert sein …« Dr. Soriano klopfte Volkmar auf den Unterarm. »Sie sehen, Dottore: sie sind absolut tot! Auch wenn ich es könnte und wollte, es wäre unmöglich, Sie auferstehen zu lassen. Werden Sie operieren?«
»Nein!«
»Aber zu Abend essen Sie doch?«
»Vielleicht.«
»Nur im Familienkreis. Loretta, Sie, ich.«
»Was halten Sie davon, wenn ich Loretta über alles unterrichte?« Volkmar erwartete, daß Soriano wütend aufspringen würde. Denn nach Worthlows Aussage gab es für Soriano nur ein Heiligtum auf dieser Welt: seine Tochter. War Don Eugenio verwundbar, dann nur durch Loretta. Aber Soriano blieb sitzen und legte nur die Hände gegeneinander. Er stützte das Kinn auf die Fingerspitzen und blickte Volkmar nachdenklich an.
»Was hätten Sie davon?« fragte er ruhig.
»Es träfe Sie tief.«
»Eine sinnlose Rache. Sie sind jetzt tot für die Umwelt. Dann aber wären Sie's wahrhaftig. Wem nützt das etwas? Ihnen? Der Medizin? Der Herzforschung? Mir? Ein absoluter Unsinn. Alles, was man tut, sollte eine Erfolgschance haben, auch die Rache. Sie haben keine Chance, Dottore, außer der, zwar unbekannt zu bleiben, aber dennoch durch meine Hilfe der größte Chirurg der Welt zu werden! Habe ich Ihnen das nicht schon gesagt? Merkwürdig: Jeder Deutsche hat anscheinend den brennenden Wunsch, wenigstens einmal im Leben ein Held zu sein. Lassen Sie das sein, Volkmar. Das bringt nichts ein!«
»Doch! Die Achtung vor mir selbst!« Volkmar ballte die Fäuste. »Sie können reden, was Sie wollen, und tun, was Sie wollen: Ich operiere nicht! Und nun verfügen Sie über mich. Sehen Sie mich als das an, was ich bin: tot!«
Er stand auf und ging hinüber zum Pool. Ihm war bewußt, daß Dr. Soriano nur deshalb so geduldig war, weil er hoffte, daß Volkmar noch lernen werde, seine Lage richtig einzuschätzen. Doch Volkmar dachte: Er kann mich zu nichts zwingen. Es wird ein totes Rennen geben. Es gibt nichts auf der Welt, was mich veranlassen könnte, für Soriano an den OP-Tisch zu treten und einen Thorax zu eröffnen. Weder bei einem Hund oder einem Affen. Und bei einem Menschen schon gar nicht.
Aber Dr. Volkmar irrte sich sehr.
Anna war es gelungen, in Cagliari ein Schiff zu finden, das nach Neapel fuhr und noch ein Küchenmädchen brauchte. Sie heuerte an, bekam eine winzige Kabine im dritten Unterdeck, gleich über dem Maschinenraum, und meldete sich beim Chefkoch. In ihrem Bergbauernkleid machte sie wenig Eindruck, und das war einkalkuliert. Sie wollte die Reise ohne einen ständigen Kampf mit liebebereiten Männern überstehen und hatte deshalb auch ihr Haar gestutzt, bevor sie die Berghütte verlassen hatte. Jetzt wirkte sie zerrupft, etwas schmuddelig und dümmlich. Die fünfhunderttausend Lire hatte sie zwischen ihre Brüste gestopft, in einem Leinenbeutel an einer Kordel. Dieser Ort erschien ihr am sichersten.
Sie bekam eine weiße Kittelschürze und ein rundes Leinenhäubchen, und die Vorarbeiterin der Küchenmädchen stellte sie an das Transportband der Spülmaschine. Ein Steward, der einen Stapel schmutziger Teller in die Spülküche brachte, kniff sie in den Hintern. Sie schlug aus wie ein Pferd, traf den Mann an den
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