Das Haus der verlorenen Herzen
Seidenjerseykleid, machten jede Antwort fast zur Anstrengung.
»Es ist schlicht die Wahrheit, Loretta.« Er nannte sie beim Vornamen, weil es ihm unmöglich war, sie Signorina Soriano zu nennen. Sie nahm auch das hin und revanchierte sich mit Enrico. Daß dies kein Zeichen von Antipathie war, stimmte Volkmar zufrieden, machte ihn nahezu glücklich. Ein Traummädchen wie Loretta war für ihn, den kleinen deutschen Chirurgen, nicht bestimmt. Er durfte es allenfalls anstarren. Schon seine stille, nur manchmal mit Worten bekannte Liebe zu Angela Blüthgen schien ihm etwas abartig, weil er wußte, daß Angela zwar als Frau dachte und fühlte und diese Gefühle auch ›freigab‹, für eine Nacht oder zwei Nächte, das sogenannte ›freiheitliche Wochenende‹ – aber er konnte sie sich nicht hinter dem Herd vorstellen oder mit einem Staubsauger in der Hand. Trotzdem hatte er immer wieder versucht, sie aus ihrem ›Internisten-Weltbild‹, wie er das nannte, herauszulösen und ihr sozusagen statt des Stethoskops den Kochlöffel in die Hand zu drücken. Er hatte das selbst ›meine stille Perversion‹ genannt. Und nun Loretta! Die Inkarnation des Luxus. Ein weibliches Wesen – unfaßbar und geheimnisvoll wie die Sylphiden in der Sage.
Loretta hatte sich in dem tiefen Sessel zurückgelehnt, die Seitenschlitze des engen Kleides gaben ihre Beine frei. Sie hat gar nichts darunter an, glaubte er festzustellen. Das weiß Papa sicher nicht. Das lernt man auch auf keiner Klosterschule.
Worthlow rumorte im Hintergrund. Er hatte einen Schrank geöffnet, hinter dessen geschnitzten Türen sich der Speiseaufzug befand. Volkmar blieb neben Lorettas Sessel stehen und trank seinen Sherry aus. In dem auf Figur geschnittenen weißen Smoking, der schwarzen Mohairhose mit dem Gallon, den Lackstiefeletten, dem weißen Hemd mit den diskreten Brustrüschen und der schmalen schwarzen Schleife sah er nun wirklich nicht mehr wie ein biederer deutscher Wissenschaftler aus. Er hatte immer nur mittelteure Konfektionsanzüge getragen, war durch nichts aufgefallen als durch sein männliches Aussehen und die vollen braunen Haare mit den weißen Schläfenansätzen. Ihm war einfach keine Zeit geblieben, seinen männlichen Charme so zu kultivieren, wie die Frauen es ihm sicher zugebilligt hätten.
Jetzt würde ihn kaum jemand wiedererkennen.
»Ich wäre glücklicher gewesen, wenn ich Sie in einer anderen Umgebung kennengelernt hätte, Loretta«, sagte Dr. Volkmar. »Am Strand, in einem Café, in einer Bar, beim Einkaufsbummel vor einem Schaufenster. Von mir aus sogar auf dem OP-Tisch …«
»Ich habe meinen Blinddarm noch, schade, das wäre eine Chance gewesen!« Sie lächelte wie ein Botticelli-Engel. »Soll ich mir eine Krankheit zulegen, damit Sie freundlicher zu mir sind?«
»Bin ich ein Muffel Ihnen gegenüber, Loretta?!«
»Sie sind anders, als Sie sein könnten! Stimmt's?«
Worthlow, der Gute, enthob Volkmar einer Antwort. Er kam immer zur richtigen Zeit. »Die Languste und die Hechtklöße«, sagte er und servierte von ziseliertem Silber. »Dazu ein ganz trockener Wein von der Loire. Ist es recht so, Sir?«
»Ich vertraue mich ganz Ihnen an, Worthlow.« Volkmar setzte sich. Loretta beugte sich etwas vor. Ihre Brüste drückten sich durch das dünne Kleid. Das lange schwarze Haar fiel wieder über ihre Schultern.
»Sie werden morgen die Klinik besichtigen, Enrico?« fragte sie und zerteilte geschickt die Languste. Die war von der Küche so vorbereitet worden, daß sie fast mundgerecht zerfiel. Auch die duftenden Hechtklöße waren perfekt.
»Wir haben drei chinesische Köche«, sagte Worthlow. »Es gibt keinen kulinarischen Wunsch, Sir, den wir nicht erfüllen könnten.«
»Ich glaube es Ihnen gern«, sagte Volkmar. Dann wandte er sich wieder an Loretta. »Sie müssen mich verstehen, Loretta. Ich bin als Tourist in Italien, nicht als Chirurg. Ich werde die Klinik Ihres Vaters nicht betreten. Aus Prinzip nicht. Ich kann unheimlich stur sein, das sollten Sie wissen.«
»Sie werden etwas verpassen, Enrico.«
»Das glaube ich Ihnen gern.« Loretta hörte den Unterton wohl nicht heraus.
»Als Hauptgang gibt es Filet Wellington mit einer Spezialsoße aus frischen Trüffeln. Heute morgen aus Frankreich eingeflogen.« Worthlow versuchte abzulenken, aber Volkmar war nicht mehr bereit, so perfekt mitzuspielen.
»Sie kennen die Klinik, Loretta?«
»Ich habe sie eingeweiht. Diese vielen lieben, dankbaren alten Leute …«
Es hatte keinen
Weitere Kostenlose Bücher