Das Haus der verlorenen Herzen
Sinn, Loretta mit der Wahrheit zu konfrontieren. Dann hätte man sie ja auch gleich vor die Krokodile werfen können.
»Ich gehe mit Ihnen lieber in Palermo spazieren. Zeigen Sie mir Palermo.«
»Sie kennen die Stadt nicht?«
»Nein. Nur aus Verdis ›Sizilianischer Vesper‹. Die große Baß-Arie: ›O du Palermo.‹ Eine ziemlich blutige Angelegenheit, diese Oper.«
Worthlow räusperte sich diskret. Dr. Volkmar lächelte vor sich hin. Es ist verblüffend, wie schnell ein Mensch seine Angst verlieren kann.
»Palermo!« sagte Loretta und tauchte die Finger in die mit Zitronenwasser gefüllte Schale. »Die Sizilianer sind freundliche, friedliebende Menschen. Ich führe Sie gern durch Palermo, Enrico.«
Nach dem Eisdessert mit flambierten Riesenhimbeeren tanzten sie auf der großen Dachterrasse unter der Markise, eng umschlungen, stumm, nur dem Rhythmus der leisen Musik und den Bewegungen ihrer Körper hingegeben, die einander liebkosten, ohne sich aufdringliche Freiheiten herauszunehmen. Worthlow räumte den Tisch ab, deckte um mit Champagner, Orangensaft und Petit fours und zog sich dann diskret in Volkmars Wohnzimmer zurück, wo er an der Tür zur Halle stand wie ein Erzengel vor dem Eingang zum Paradies.
»Sie tanzen hervorragend, Enrico«, sagte Loretta, als sie nach fünf Tänzen zu den Sesseln zurückkehrten.
»Ich wußte das selbst nicht.« Er goß Champagner ein und blickte hinauf in den Sternenhimmel. Morgen wird es hart, dachte er. Morgen wird es vielleicht tödlich. Meine Schonzeit geht zu Ende, ich fühle es. Nie wird mir Loretta Palermo zeigen dürfen. Und diese Nacht ist ein Teil von Sorianos perversem Plan. Finden wir uns damit ab. »Cheerio, Loretta, es war zauberhaft mit Ihnen!«
»Sie sind ein erstklassiger Chirurg, können ausgezeichnet tanzen. Was können Sie noch?« fragte sie und mixte Orangensaft in den Champagner.
»Ich bin ein guter Schwimmer, auch Tennisspieler, interessiere mich – vor dem Fernseher – für Fußball. Als Student habe ich gern geboxt. Einmal war ich Landesmeister im Mittelgewicht. Mein großer Wunsch war es einmal, Rallyes zu fahren oder den Sportfliegerschein zu machen. Aber daraus wurde nie etwas. Die Zeit, Loretta! Manchmal war ich achtunddreißig Stunden in der Klinik, immer zwischen Wachstation und OP pendelnd. Vollgepumpt mit schwarzem Kaffee.«
»Also als Arzt ein Besessener?«
»Man kann's so nennen. Trotzdem ist es ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn man helfen kann. Ich bin ein altmodischer Arzt, Loretta. Ich sehe nicht den Patienten und sein Bankkonto, sondern den Menschen und seine Krankheit. Darum bin ich auch das, was man bei uns ›eine arme Sau‹ nennt. Aber, verflucht, ich fühle mich auch sauwohl dabei!«
Es war gegen drei Uhr morgens, als das Abendessen nach Loretta-Art beendet war und sie sich verabschiedeten. Volkmar brachte sie bis zur Tür seiner Privathalle und küßte ihr die Hand. Da nahm sie seinen Kopf zwischen ihre langen, zarten Finger und drückte ihre Lippen auf seine Augen. Es war ihm, als müsse er von jetzt ab blind sein.
»Enrico, ich mag Sie«, sagte sie ohne Scheu, aber auch ohne besondere Betonung. »Sie haben nie eine Situation ausgenutzt … und es gab einige. Danke, Enrico!«
Sie schwebte davon, und Worthlow schloß hinter ihr die Tür, so wie man den Vorhang nach dem letzten Akt zuzieht. Das Spiel war beendet.
»Mein Kompliment, Sir«, sagte er in seiner steifen Butlerart. »Ich schließe mich der Signorina an. Sie hatten das Glück, Miß Loretta anders zu sehen, als sie bisher ein Mann gesehen hat. Aber Sie waren klug, Sir.«
»Ich bin sauer, Worthlow, das ist alles!« sagte Volkmar laut. »Und jetzt besaufe ich mich, damit Sie das wissen! Werden hier die Opfer tot oder noch lebend den Krokodilen und Löwen vorgeworfen?!«
Worthlow gab darauf keine Antwort, verbeugte sich korrekt und verließ Volkmars maurisches Gästehaus.
Kurz danach – Volkmar hatte sich an der Bar in der Halle darauf vorbereitet, so lange zu trinken, bis er auf den Teppich fallen würde – klingelte das Telefon. Er hatte fast darauf gewartet.
»Sie mußten sich noch hören lassen, Don Eugenio!« sagte er laut. »Es wäre sonst kein Abschluß gewesen. Trotzdem: Es war ein zauberhafter Abend!«
»Meine Tochter ist von Ihnen fasziniert, Dottore.« Sorianos Stimme klang väterlich stolz. »Sie sind der erste Mann, der sie aus ihrer Reserve gelockt hat. Für Loretta waren Männer Jäger, die ihrem Geld nachjagten. So ist sie auch
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