Das Haus der verlorenen Herzen
über den nackten Körper. Von draußen, aus dem riesigen Park, hörte man durch das vergitterte Kellerfenster das Bellen der Spürhunde. Sie hatten eine Spur aufgenommen, aber sie endete an dem kleinen Teich am Golfplatz. Hier hatte der Mörder etwas Kluges getan: Er war durch das Wasser gelaufen und hatte damit seinen Geruch vernichtet. Die Hunde liefen winselnd um den Teich herum und nahmen kein Gespür mehr auf.
»Gehen wir«, sagte Dr. Soriano. »Ich lasse Gallezzo ins Altersheim bringen. Wir fahren gleich hinterher.« Sie stiegen hinauf in die weite Zentralhalle mit den maurischen Säulen und Wänden und trafen dort Worthlow, der auf sie wartete, ein Tablett mit Kognakgläsern auf der flachen Hand. Soriano und Volkmar tranken ein Glas und atmeten danach tief auf.
»Tote erschüttern mich immer, ist das nicht merkwürdig?« sagte Soriano. »Ich kann mich an ihren Anblick nie gewöhnen, ganz gleich, wer es auch ist. Ich habe meine Frau sehr geliebt – ich erzählte es Ihnen schon –, aber als sie starb und ich an ihrem Sarg saß, habe ich wie im Schüttelfrost gezittert.« Er blieb stehen und griff noch einmal zu dem Tablett, mit dem Worthlow ihnen nachgegangen war. Nach dem zweiten Kognak schien Soriano ruhiger zu werden. »Ist es nicht merkwürdig, Enrico, daß ich Sie nur an den OP-Tisch bekomme, wenn schon alles verloren ist?«
»Fangen Sie schon wieder davon an?« Sie traten auf die Terrasse unter den Säulenvorbau, und Volkmar zog sein Hemd über den Kopf und hängte es über seinen Arm. Die Hitze war fast unerträglich. Selbst der sonst immer vom Meer her wehende leichte Wind war völlig eingeschlafen. Sizilien briet in der Sonne. »Sie wollen keine Polizei einschalten?«
»Nein.«
»Und Gallezzo?«
»Wird in einer Ecke des Parks begraben. Für seine Familie wird gesorgt werden.«
»Er hat Familie?«
»Eine Frau und drei Kinder. Sie werden keine Sorgen haben.«
»Und wenn sie reden?«
Soriano lächelte müde. »Dottore, es gibt ungeschriebene Gesetze, die mit größerer Akribie befolgt werden als die geschriebenen. Gallezzo ist nicht mehr da. Warum also sollte man reden?«
Zwei Stunden später stand Dr. Volkmar im Keller des Altersheims vor dem Seziertisch und öffnete den Körper Gallezzos. Man hatte den Toten auf den Tisch gelegt, auf dem sonst die Hunde und Affen lagen, an denen Dr. Nardo experimentierte. Eine letzte Station, die Gallezzo sich nicht hätte träumen lassen.
Auf der Rückfahrt fiel es Volkmar erst nach einer Weile auf, daß sie nicht nach Palermo fuhren, sondern weiter ins Land hinein. Über holprige Straßen ging es, zum Teil über Feldwege, und immer bergauf. Staub umwirbelte sie, das Land sah wie verbrannt aus, die Dörfer, durch die sie fuhren, waren wie ausgestorben. In dem großen amerikanischen Wagen Sorianos war es angenehm kühl, die Klimaanlage arbeitete vorzüglich.
»Was haben Sie vor?« fragte Volkmar. »Wohin fahren wir?«
»Lassen Sie sich überraschen, Dottore.«
»Zu Loretta?«
»Bestimmt nicht. Ich will Ihnen etwas zeigen.«
»Hier? In dieser Wildnis?«
»Wir kommen gleich in zivilisiertere Gebiete. Das hier ist nur eine Abkürzung des Weges.« Er klappte aus der Rückenlehne des Fahrers ein Tablett heraus. Dahinter standen zwei Gläser und eine Flasche mit Rotwein. »Einen Schluck, Enrico?«
»Danke, Don Eugenio.«
»Ich habe Ihnen doch von dem Kindererholungsheim erzählt, das ich gestiftet habe und das im Bau ist?«
»Ja. Beiläufig. Ein Kardinal wird es segnen und auch gleich den päpstlichen Segen mitbringen.«
»Richtig!« Soriano lächelte breit. »Und ich habe Ihnen erzählt, daß ich dort für Sie die modernste Herzklinik der Welt baue.«
»Das habe ich für einen Ihrer zynischen Scherze gehalten.«
»Das Kinderheim ist nur die Fassade, das Alibi. Natürlich werden sich dort dreihundert Kinder das ganze Jahr über, jedes vier Wochen lang, erholen können. Es wird ein Kinderparadies werden mit Schwimmbecken und Turnhalle, Sportplätzen und Spielzentren, Liegewiesen und Liegeterrassen, verglast für den Winter. Die neuesten Erkenntnisse über die Aktiverholung werden hier verwertet. Aber …«
»Auf dieses Aber habe ich gewartet«, sagte Volkmar mit belegter Stimme.
»Parallel dazu entsteht auch eine ebenso moderne chirurgische Klinik, die völlig anonym ist. Auf drei Kellerebenen verteilt sich ein Herzzentrum, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Bei der Einweihung des Kinderheimes wird man da nicht hinuntersteigen, weil die
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