Das Haus der verlorenen Herzen
Eingänge noch zugemauert sind. Aber sofort nach den Feierlichkeiten beginnt auch in diesem unbekannten Teil des Hauses die Arbeit. Für die Patienten, bei denen die akute Gefahr vorbei ist, haben wir in einem Nebentrakt zehn sonnige Zimmer mit Balkon und dem Service eines Luxushotels.«
»Die Mafia-Klinik?«
»Sie sollten solche Worte nicht gebrauchen, Dottore.« Soriano goß Rotwein in die Gläser. Der schwere Wagen hatte die holprigen Wege verlassen und rollte jetzt lautlos über eine asphaltierte Straße. Sie befanden sich auf einer Hochebene mit Olivengärten und Pinienhainen. Hier schien es Wasser genug zu geben. Auf einer Anhöhe vor ihnen erhob sich ein bereits verputzter, grellweiß leuchtender siebenstöckiger Bau, in verschiedene Flügel gegliedert, die wie Strahlen eines Sternes von einem runden Mittelteil ausgingen. Riesenkräne reckten ihre Stahlgerippe in den heißen Himmel, Planierraupen und ein kleines Heer von Lastwagen arbeiteten an einer Umgestaltung der Landschaft.
Soriano tippte dem Fahrer auf die Schulter. Der Wagen hielt.
»Ihre Klinik, Dottore!« sagte er und machte eine umfassende Handbewegung. »Ist sie nicht herrlich?«
»Der ganze Baukomplex erinnert mich an ein Zuchthaus«, sagte Volkmar dumpf. »Ein runder Mittelteil, davon abgehend die Zellentrakte. Hat da Ihr Trauma mitgebaut, Don Eugenio?«
»Sie haben Phantasie, tatsächlich.« Dr. Soriano lachte etwas gezwungen. Erst jetzt, wo es Volkmar sagte, fiel ihm die Ähnlichkeit mit traditionellen Zuchthausbauten auf. Er hatte es bisher immer anders gesehen: als einen Stern, als ein Symbol dafür, daß hier eine andere, schönere Welt war. In diesem Sinne hatte er auch seine Eröffnungsrede halten wollen. Sie kam ihm plötzlich sehr dumm vor. »Ich werde das im Laufe der Zeit ändern«, sagte er.
»Sie können die Gebäude doch nicht hin und her schieben.«
»Ich werde sie durch Glasterrassen verbinden und auflockern. Schwebende Gärten wie die der Semiramis von Babylon.«
»Aber die Grundform bleibt: Ein Luxuszuchthaus! Ihr Unterbewußtsein hat bei der Wahl der Entwürfe fabelhaft gearbeitet, Don Eugenio.«
Sie erreichten die breite Zufahrtsstraße und hielten vor dem Haupteingang des Kinderheims. Der Bau war bereits verglast, die Innenarbeiten hatten begonnen. Einer der Bauleiter stürzte zu Sorianos Wagen und riß die Tür auf.
Soriano winkte ab, wartete, bis auch Volkmar ausgestiegen war, und ging dann um den Wagen herum zu ihm.
»Reizt es Sie nicht, Ihre Klinik zu besichtigen?« fragte er.
»Ich werde hier nie arbeiten!« Volkmar umfaßte mit seinen Blicken den Riesenbau. Er schätzte die Kosten und begann zu ahnen, was ein neues Herz bei Soriano kosten würde, und überlegte, wer es sich leisten könnte. Trotzdem war es eine Rechnung, die nie aufgehen würde: Allein die Baukosten würden nie hereinkommen. Soriano schien Volkmars Gedanken zu erraten.
»Das Kindererholungsheim ist eine Stiftung«, sagte er. »Aber für jede Belegung bekommen wir vom Staat einen Zuschuß. Außerdem wird ein Zeichnungs-Fonds aufgelegt: Förderer des Kinderheimes Camporeale. Es sind steuerabzugsfähige Zahlungen. Nach den ersten Berechnungen trägt sich so der ganze Betrieb selbst. Sollte es zu Überschüssen kommen, werden sie wieder im Heim angelegt.«
»Und die Einnahmen der heimlichen Herzklinik gehören ganz allein der Ehrenwerten Gesellschaft.«
»Sie sagen es, Enrico. Geben Sie zu: Das ist ein einmaliges Modell!«
»Wenn es funktioniert!«
»Es wird. Mit Ihnen als Chefarzt.«
»Warum sind Sie bloß so sicher?«
»Weil Sie nicht für mich, sondern für die Kranken arbeiten, Dottore. Vor Ihnen werden Todgeweihte stehen, die um Ihre Hilfe flehen. Ich möchte den Arzt sehen, der dann ein kaltes Nein sagt! Sie können es nie!«
»Ich weiß, daß Sie ein Satan sind!« sagte Volkmar dumpf.
»Denken Sie nur als Arzt! Denken Sie an die Kranken! Alles andere ist nicht Ihre Welt! Wie lange pflegen Sie schon Ihren Hungerstreik?«
»Es ist der dritte Tag.«
»Brechen Sie ab, Enrico! Öffnen Sie Ihrer Vernunft das Tor! Nur weil der Besitzer der Klinik ein ›Kuratorium Palermo‹ ist und kein Schwesternorden ›Vom himmlischen Blut Mariä‹ oder eine städtische oder staatliche Verwaltungsstelle, wollen Sie Schwerkranke zum Tode verurteilen? Das kann Ihr Gewissen nicht verkraften. Das weiß ich!«
Volkmar antwortete nicht, aber er machte den ersten Schritt auf den Eingang zu. Dr. Soriano blies die Luft hörbar durch die Nase. Gewonnen,
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