Das Haus der verlorenen Herzen
eine Lücke geben. Sehen Sie sich Gallezzo an, und Sie müssen mir recht geben. Ich habe Loretta und ihre Zofe sofort wegschaffen lassen, an einen Ort, den nur ich und mein Fahrer kennen.« Er faltete die Hände und legte das Kinn darauf. »Mir ist das alles noch ein Rätsel, Enrico. Sie sind der einzige, der mich so ratlos sieht. Einer meiner Gärtner fand Gallezzo; er muß schon mindestens zwei oder drei Stunden tot gewesen sein. Das können Sie doch feststellen, Enrico? Jeder Polizeiarzt kann das.«
»Ich wollte gerade vorschlagen, diesen Kollegen rufen zu lassen.«
»Ich bin jetzt nicht zu Späßen aufgelegt, Dottore, wirklich nicht.« Dr. Soriano lehnte sich zurück und drückte die gefalteten Hände vor seine Brust. »Ich mache mir Sorgen. Wer wollte mich durch diesen Mord warnen?«
»Ihre Feinde.«
»Ich habe keine Feinde. Ich werde geliebt, geachtet oder gefürchtet. Aber Feinde habe ich nicht. Das ist es, was ich nicht verstehe. Man ermordet Gallezzo – und meint mich!«
»Das nehmen Sie an.«
»Wissen Sie eine andere Erklärung?«
»Bei Gallezzo fällt mir vieles ein. Wenn es einen Menschen ohne Mitleid und Skrupel gab, dann war er es!«
»Das war sein Beruf.«
»Also sind seine Feinde unzählbar.«
»Draußen vielleicht. Aber nicht innerhalb meines Hauses! Gallezzo spielte Golf, als er ermordet wurde.«
»Ich denke, er lag im Rosengarten?«
»Der Rosengarten begrenzt eine Seite des Golfplatzes.«
»Was macht ein Golfspieler in einem Rosengarten, wenn er mitten im Spiel ist? Oder war Gallezzo ein so miserabler Spieler, daß er den Ball wild durch die Gegend feuerte und ihn in den Rosen suchen mußte?«
»Enrico! Sie zünden ein Lämpchen an! Da ist ein Lichtblick! Natürlich! Wie kommt ein guter Golfspieler wie Gallezzo in den Rosengarten?!« Dr. Soriano sprang auf. »Er muß weggelockt worden sein!«
»Also doch ein Täter, der von draußen gekommen ist!« Volkmar griff nach seinem Hemd, das über einer Sessellehne lag, und zog es über. »Ich sehe mir Gallezzo an.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Ich mache mir allein Sorgen um Loretta! Sie haben doch Feinde, Don Eugenio.« Volkmar holte aus der Gartenschaukel seine weißen Jeans und streifte sie über. Dr. Soriano ging unruhig in der großen Halle hin und her, als er aus dem Schlafzimmer zurückkam. »Sie sehen: So sicher ist nichts! Das hier ist noch lange nicht Fort Knox! Wo ist Loretta?«
»An einem geheimen Ort, ich sagte es schon. Auch Sie brauchen es nicht zu wissen! Ihre Zofe, ein nettes Bauernmädchen, treu und ergeben, ist bei ihr. Loretta hält viel von ihrer Anna.«
Dr. Volkmar nahm den Namen hin, ohne irgendeine gedankliche Verbindung herzustellen. Diesen Allerweltsnamen in Zusammenhang zu bringen mit der Anna aus den sardischen Bergen von Gennargentu war so absurd, daß daran gar nicht gedacht werden konnte.
Paolo Gallezzo hatte man im Keller aufgebahrt. Er lag auf einem alten, zerschlissenen Billardtisch. Man hatte ihn gewaschen, und so sah er nicht mehr ganz so schrecklich aus wie vor einer Stunde, als der Gärtner ihn an der Hecke gefunden hatte. Die beiden Wunden waren auf der auch im Tode noch bräunlichen, aber fahlen Haut mit einem Blick zu erkennen … zwei blutverkrustete Spalten, zwei saubere Schnitte. Dr. Soriano trat an den Toten heran und deckte ein Handtuch über den Kopf. Das Weiße der Augen unter den halbgeschlossenen Lidern störte ihn. Soriano war ein Ästhet.
»Ein beidseitig scharf geschliffenes Messer«, sagte er zu Volkmar, der sich über die Einstiche beugte. »Nennen wir es laienhaft: Ein Profimesser. Mit einer sechs Zentimeter breiten Klinge.«
Volkmar erfaßte einen Arm Gallezzos. Die Totenstarre war längst eingetreten, ein grober Anhaltspunkt.
»Er ist seit mindestens vier Stunden tot«, sagte Volkmar. »Um genauer zu sein, müßte ich ihn obduzieren.« Er betrachtete den Halsstich und die Wunde genau über dem Herzen und schüttelte den Kopf. Dr. Soriano sah ihn fragend an. »Was fällt Ihnen auf, Enrico?«
»Der Herzstich war sofort tödlich, das wird die Obduktion zeigen. Warum dann noch der Halsstich?«
»Und umgekehrt?«
»Wenn erst der Halsstich war, der nach grober Beurteilung zu einem Verblutungstod geführt hätte, und hinterher erst der tödliche Herzstich, dann haben Sie einen ungemein kaltblütigen, gnadenlosen, eiskalten Feind in Ihrer Nähe, Don Eugenio. Ein Profi, wie Sie schon sagten.«
Dr. Volkmar trat vom Billardtisch zurück. Einer der Diener breitete ein Bettuch
Weitere Kostenlose Bücher