Das Haus der verlorenen Herzen
Volkmar, der ihm gefolgt war, hockte sich auf einen Stuhl an der Gartenbar.
»Wissen Sie, was das für uns bedeutet?« fragte Soriano.
»Ich ahne es.«
»Die ganze Welt ist voller Begeisterung. Zum ersten Mal wird allen bewußt, daß es möglich ist, ein Herz zu verpflanzen! Ich weiß, ich weiß, ihr Mediziner wißt das schon lange. Aber gewagt hat es noch keiner! Nur an Tieren. Aber jetzt endlich läuft ein Mensch mit einem fremden Herzen herum.«
»Noch läuft Mr. Waskansky nicht wieder.«
»Er wird!«
»Abwarten!«
»Und wenn er nur eine Woche lebt – die Welt, jeder Mensch lebt ab heute in der Gewißheit, daß auch ein Herz austauschbar ist. Barnard wird überlaufen werden von herzkranken Patienten. Andere Chirurgen werden es ihm nachtun. Wenn einmal die Schranke durchbrochen ist, strömen alle in das Neuland! Das bedeutet für uns: In kürzester Zeit haben wir die Klinik voll, denn Professor Barnard wird jetzt bestimmt nicht am laufenden Band Herzen verpflanzen.«
»Das wird er nie tun!«
»Sehen Sie! Aber wir werden es!« Soriano begann, nervös zu schaukeln. Er faltete die Hände, löste sie wieder und trommelte mit den Fingerspitzen gegeneinander. »Ich habe schon Auftrag gegeben, alles, was mit dem Groote-Schuur-Hospital zusammenhängt, zu sammeln und herüberzufunken. Barnard gibt ausführliche Interviews, natürlich genießt er seinen Erfolg! Wir werden spätestens morgen wissen, wie Barnard operiert hat, wie seine Chirurgie eingerichtet ist, was man zur Überwindung der Immunschranke getan hat. Ich garantiere: Wir sind besser, moderner und vollkommener eingerichtet! Und wir haben einen Dr. Volkmar!«
»Barnard hat nur einen Teil des Herzens verpflanzt«, sagte Volkmar ruhig. »In seinem ersten Interview steht, daß er ein Stück Restherz belassen hat und das neue Herz, auch nur ein Teil, aufgenäht hat. Aus zwei mach eins … das ist die Methode, an der wir alle experimentierten. Barnard hat es technisch brillant gelöst. Aber die Gefahr der Immunreaktion ist dadurch ungeheuer groß geworden. Das will ich vermeiden, indem ich ein ganzes Herz transplantiere und in alle zum Herzen führenden Hohlgefäße Zwischenstücke aus Teflon einsetze, Verbindungen aus Kunststoffschläuchen, die wie eine Bremse, eine Schleuse wirken. Ich weiß: das Blut. Die Eiweißreaktion. Aber die Gefahr der schnellen Abstoßung ist nicht mehr so groß, wenn wir nicht mehr fremde Muskel aufeinander nähen, sondern ein ganzes Organ ohne unmittelbare Verbindung zu anderen abwehrbereiten Körperteilen transplantieren.«
»Und das werden Sie in Kürze tun, Enrico.« Sorianos Gesicht hatte sich vor Erregung gerötet. »Mein Gott, wenn das gelingt.«
»Lassen Sie Gott weg!«
»Wie Sie wünschen! Professor Barnard hat – ohne es zu wissen – den Startschuß zu unserer Klinik gegeben! Solange die Euphorie über dieses medizinische Wunder anhält …«
»Sie wird nicht lange dauern. Auf nichts reagieren Mediziner allergischer als auf den spektakulären Erfolg eines Kollegen. Warten Sie die Kommentare der nächsten Tage ab. Es wird für Barnard mehr Minus- als Pluspunkte geben! Man wird die Notwendigkeit solcher Eingriffe in Zweifel ziehen, von Verfrühung sprechen, von Operationswut, von Geltungsbedürfnis, von persönlicher Eitelkeit, von Mißachtung des ärztlichen Ethos … Die Palette der Beschimpfungen mit akademischer Verkleidung ist gerade bei uns Medizinern unerschöpflich. Und wenn Waskansky stirbt … oje!«
»Barnards revolutionäre Tat ist unsere Reklame!« sagte Dr. Soriano tief atmend. »Wir werden jeden sich jetzt bei Barnard meldenden Patienten, den er abweisen muß, unter die Lupe nehmen und ihm, wenn er kapitalkräftig genug ist, unser Angebot unterbreiten. Ich rechne mit dem ersten Patienten in spätestens einer Woche.«
»Und wo nehmen wir das passende Spenderherz her?«
Soriano winkte großzügig ab. »Das ist meine Aufgabe, Enrico! Ich habe Ihnen versprochen, alles zu beschaffen, was Sie brauchen! Ein Herz gehört auch dazu. Um so etwas brauchen Sie sich nicht zu sorgen!«
Und wieder spürte Dr. Volkmar, wie es ihm trotz der warmen Morgensonne eiskalt über den Rücken lief. Er war wie gelähmt, als Worthlow mit dem Frühstück kam.
Der erste Patient traf sechs Tage nach Barnards Herztransplantation ein. Mit einem eigenen Flugzeug landete er in Palermo. Ein Großkaufmann aus Beirut, der erst in Kapstadt gewesen und dort von Professor Barnard abgewiesen worden war, weil die Liste der Herzanwärter
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