Das Haus der verlorenen Herzen
Dr. Volkmar und Loretta saßen in dem großen, luxuriös eingerichteten Chefarztzimmer, bedient – und bewacht – von dem treuen Worthlow.
Hier unten war es geisterhaft still. Der Lärm von oben, das Lachen und Tanzen, die Musik und die Anwesenheit von über dreihundert Menschen – nichts davon drang in diese vor Sauberkeit blitzende, sterile Unterwelt.
Dr. Soriano goß die Sektgläser voll und sah seine Tochter und Dr. Volkmar mit einem ehrlichen, glücklichen Lächeln an. »Wie soll ich beginnen?« sagte er. »Der heutige Tag bedeutet eine Wende in unser aller Leben. Die Klinik ist fertig, meine Tochter hat den Mann ihres Lebens gefunden, ich habe dadurch einen Sohn bekommen, der zudem noch der Chef dieser Klinik ist. Diese Fülle von Glück! Darf ich dich meinen Sohn nennen, Enrico?«
»Nein!« antwortete Dr. Volkmar hart. »Lassen wir Loretta völlig aus dem entsetzlichen Spiel, das hier beginnen soll!«
»Wie ist das möglich?« Soriano setzte sich. »Eins greift ins andere. Gut! Ich darf Sie also nicht als meinen Sohn betrachten. Nur gestatten Sie mir eine Frage: Sie wollen Loretta doch heiraten?«
»Ja …«
»Und betrachten Ihren Schwiegervater weiterhin als Gegner?«
»Sie haben diesen Status selbst herbeigeführt.«
»Rechnen Sie unter diesen Umständen mit meiner Einwilligung?«
»Ich brauche sie nicht, Papa!« sagte Loretta plötzlich. Ihre Stimme klang seltsam hart. »Ich bin dreiundzwanzig. Ich kann allein entscheiden.«
»Welch eine Welt!« Soriano nippte an seinem Champagner. »Da hat man seine einzige Tochter in den besten Schulen und Internaten erziehen lassen, und was ist dabei herausgekommen? Aufsässigkeit gegen die alte Ordnung! Mißachtung aller Grundlagen von Moral …«
»Du lieber Himmel – Sie reden von Moral?« unterbrach ihn Dr. Volkmar.
»Trennen wir den Beruf vom Privaten. Das stammt doch von Ihnen, Enrico, nicht wahr? Gerade haben Sie es gesagt! Gleiches Recht für alle, mein Bester. Jetzt bin ich nur Vater, weiter nichts!«
»Ich liebe ihn!« sagte Loretta und legte ihren Arm um Volkmars Schulter. »Ich liebe ihn! Liebe ihn! Nur das allein ist für mich wichtig! Was ist deine ›alte Ordnung‹ dagegen?! Was geht sie mich überhaupt an?! Sizilianische Ehre! O Maria, sind wir Menschen aus einer Verdi-Oper? Ich gehöre zu Enrico, das allein ist wichtig. Was er sagt, was er tut, das ist auch für mich richtig! Du bist mein Vater, und ich werde dich als meinen Vater lieben und ehren – doch mein Leben heißt von jetzt ab Enrico!«
»Sehr eindrucksvoll.« Soriano blickte in sein Champagnerglas. »Ich gebe die Hoffnung nicht auf, Enrico, daß Sie einsehen, wie weit Sie durch die Mittel, die ich Ihnen bereitstelle, der medizinischen Forschung vorausmarschieren können. Leider werden Sie nie den Nobelpreis bekommen können, aber Sie bekommen meine Tochter. Die ist hundert Nobelpreise wert …«
»Ihr Zynismus ist unüberbietbar«, sagte Dr. Volkmar gepreßt. »Wann liefern Sie den ersten Herzpatienten?«
»Morgen kommt zunächst der ganze Tierpark vom Altersheim herüber, die Laboranten fangen in den neuen Räumen zu arbeiten an. Ich schätze, daß Sie die erste Ganzherzverpflanzung Ende nächster Woche ausführen.«
»Sie sind verrückt!« sagte Dr. Volkmar dumpf.
»Ich brauche eine gelungene Herztransplantation, um damit werben zu können.«
»Was wollen Sie?« fragte Volkmar erschüttert.
»Werben! Ich kann doch nicht meine Repräsentanten einfach zu den Herzkranken schicken: Wollen Sie ein neues, junges Herz, dann kommen Sie nach Camporeale! Für eine Million Dollar machen wir Sie wieder hüpffidel! Man würde uns für Idioten halten! Aber wenn wir Beweise vorlegen: Hier, dieser Mann hatte keine Chancen mehr, jetzt turnt er wieder am Reck! – dann können wir überzeugen.«
»Wann begreifen Sie endlich«, schrie Dr. Volkmar außer sich, »daß eine Herztransplantation keine Blinddarmoperation ist?! Die Überlebensaussichten stehen heute 1:99! Ein Prozent Chancen! Und die Zukunft liegt nicht bei einer Homotransplantation, also bei einem Austausch von Mensch zu Mensch bei einem genetisch fremden, jedoch artgleichen Spender, sondern beim Kunstherzen. Doch bis wir soweit sind, werden noch Jahre oder Jahrzehnte vergehen!«
»Draußen!« Soriano machte eine ausholende Armbewegung. »Nicht bei mir, Enrico. Wir können in der Stille schneller arbeiten. Wir alle wissen, daß Sie an einem Kunstherzen arbeiten aus der einfachen Überlegung heraus, daß das Herz nur eine
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