Das Haus der verlorenen Herzen
motorisch betriebene Pumpe ist. Wenn Ihnen diese Konstruktion gelingt, und sie muß gelingen, wenn man alle anatomischen Gegebenheiten des echten Herzens in Kunststoff nachbaut und durch einen eingesetzten Motor in Bewegung hält, können Sie tausendfach Leben retten.« Soriano lächelte seine Tochter an. Sie blickte verschlossen, fast feindselig. »Wundern Sie sich nicht über meine Kenntnisse?«
»Auch mit einem Kunstherzen ist der Mensch kein vollwertiges Geschöpf mehr. Sein Leben wird ein einziger Kampf gegen die Immunreaktion sein, und das heißt – da er Mittel schluckt, die alles abblocken, aber die Infektionsgefahr erhöhen, da dem Körper die Abwehr entzogen wird – : ein ständiger Kampf gegen Bakterien und Viren. Und mit ihnen ist unsere Umwelt bekanntlich verseucht!«
»Aber er lebt! Aber er lebt! Zwei, drei oder vier Jahre Lebensverlängerung – das bezahlen viele mit einer Million Dollar! Und wenn es zehn Jahre mehr Leben sind, stehen Sie in Gottes Nähe, Enrico! Für einen Arzt muß diese Zukunftsvision doch ungeheuerlich sein! Ein Traumziel. Ich biete es Ihnen!«
»Mich schaudert bei dem Gedanken, daß hier bald Patienten liegen, die ein Vermögen für ein Experiment bezahlen! Don Eugenio, ich werde es jedem ins Gesicht sagen!«
»Das können Sie! Patienten in dieser tödlichen Lage leben in einem unerschütterlichen Vertrauen zu ihrem Arzt.«
Dr. Volkmar schwieg. Er hat recht, dachte er. Wir haben es immer gesehen, vor allem bei den desolaten Krebspatienten: Ihr Glaube an die Wunder der Medizin ist manchmal unbegreiflich. Erschütternd, ihre glänzenden Augen zu sehen, wenn irgend jemand zu ihnen sagt: »Du siehst aber schon viel besser aus. Paß auf, in ein paar Wochen läufst du wieder herum!« Und wir wissen genau, daß sie in ein paar Wochen unter der Erde liegen …
Aus diesem Glauben will Dr. Soriano jetzt Millionen ziehen.
»Ich werde nur operieren bei strengster Indikationsstellung!«
»Selbstverständlich.« Dr. Soriano hob prostend sein Champagnerglas. »Sie werden nur hoffnungsvollen Fällen begegnen!«
Die Entwicklung überholte Dr. Volkmar und alle Pläne Sorianos.
Am 4. Dezember 1967 sprach die ganze Welt nur über ein Ereignis, das alles überdeckte: Weltpolitik, Wirtschaftskrise, Aktienkurse, Sportleistungen oder Krisenherde irgendwo auf dem Erdball. Für einen Tag trat alles in den Hintergrund. Auf der ersten Seite der Zeitungen riefen es Riesenlettern aus, Rundfunk und Fernsehen überboten sich mit Originalberichten und Interviews. Ein bis zu diesem Tag der Welt unbekannter und selbst in Kollegenkreisen nicht auffallender Mann, ein Arzt aus Südafrika, Chirurg am Groote-Schuur-Hospital in Kapstadt, tat einen großen Schritt in die Zukunft.
Dr. Soriano stürmte mit einem Packen Zeitungen am frühen Morgen in Volkmars Wohnung. Er warf die Zeitungen auf den Tisch und klopfte an die Schlafzimmertür.
»Trennen Sie sich von meiner Tochter!« rief er erregt. »Himmel, wie können Sie schlafen, während sich die Welt verändert?! Kommen Sie heraus!«
Dr. Volkmar öffnete die Tür. Er ließ sie provozierend weit offen, um Soriano einen Blick auf sein französisches Bett zu gönnen. Es war leer. Loretta hatte in dieser Nacht nicht bei ihm geschlafen.
»Die Zeitungen!« sagte Soriano heiser. »Da!« Er zeigte auf die Titelseiten. »Die Welt steht kopf!«
Dr. Volkmar griff nach einer Zeitung und faltete sie auf. Die dicke, rot unterstrichene Balkenschrift schrie ihm entgegen: Die erste Herzverpflanzung ist gelungen!
Professor Dr. Christaan Barnard aus Kapstadt setzte dem 55 Jahre alten Lebensmittelhändler Louis Waskansky ein neues Herz ein.
Darunter das erste undeutliche Funkbild von Louis Waskansky, wie er auf einem Rollbett zum OP gefahren wird. Er lächelte breit und hoffnungsvoll.
Dr. Volkmar las den Artikel aufmerksam durch, blickte dann auf die anderen Zeitungen und warf sie beiseite. Dr. Soriano, der auf eine Reaktion wartete, wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht.
»Das ist alles, was Sie dazu sagen?« rief er. »Nichts?!«
»Ich habe von Barnards Forschungen gehört«, sagte Volkmar. »Die kleine Gruppe der Mediziner, die an diesem Problem arbeitet, kennt sich untereinander mehr oder weniger. Ich wußte allerdings nicht, daß Barnard schon so weit ist. Ich freue mich für ihn. Endlich hat es einer gewagt! Und das am südlichsten Ende Afrikas! Gratulation, Christaan Barnard …«
Soriano lief hinaus auf den Dachgarten und warf sich in die Schaukel.
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