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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tafel zu. Dann versank alles in einem Inferno aus Donnern und Bersten, dem Kreischen aufgerissenen Metalls und einem grausamen Ruck, der sie in die Sicherheitsgurte riß.
    Sie fuhren nicht gegen die Tafel … sie rasten darunter hindurch!
    Die Fahrerkabine des Lieferwagens paßte um Haaresbreite unter das riesige Werbeschild … im Gegensatz zum Blechkasten des Laderaums. Das Dach krachte mit aller Gewalt gegen die untere Kante der Tafel und wurde aufgerissen wie der Deckel einer Fischbüchse. Coralina versuchte geistesgegenwärtig das Fahrzeug zum Stehen zu bringen, bevor es über den Grasstreifen auf die Autobahn schlittern konnte. Der Lieferwagen stellte sich quer, rutschte weiter, drohte umzukippen, senkte sich schließlich wieder auf seine Räder und blieb keine drei Schritte vor dem Asphaltrand stehen.
    Coralina hing hustend mit beiden Armen über dem Steuer, aber ihr schien nichts passiert zu sein. Um Jupiter drehte sich die Welt, sein Herz schlug wie Fausthiebe gegen seinen Brustkorb. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er wieder einigermaßen klar denken konnte. Er schaute zu Coralina hinüber, ihre Blicke trafen sich. Beide hatten denselben Gedanken. Sie öffneten blitzschnell ihre Gurte, stießen die Türen auf, taumelten ins Freie.
    Der Lieferwagen hatte kein Dach mehr. Der hintere, höhergelegene Teil war aufgepellt wie ein Ei aus Blech, die Seiten an den oberen Rändern ausgefranst und eingedrückt. Das Dach selbst lag als Metallknäuel zehn Meter hinter ihnen, verdreht wie ein altes Bettlaken.
    Beim Aufprall hatte der Lieferwagen den unteren Rand der Werbetafel mitgerissen und die gesamte Konstruktion nach hinten kippen lassen.
    Das riesige Schild, zentnerweise Holz und Stahl, hatte den BMW unter sich begraben.
    Er war nur noch halb so hoch wie zuvor.
    Sein Motor lief noch und die Reifen drehten im Staub durch. Aus einer der verbeulten Türen lief ein dünnes Blutrinnsal und bildete im Sand eine nierenförmige Pfütze. Jupiter konnte nicht unter die Tafel sehen, aber nicht einmal ein Wunder hätte die Männer im Wagen retten können … das Schild hatte sie erschlagen.
    Jupiter erkannte, wie knapp er und Coralina demselben Schicksal entgangen waren, und er spürte, wie seine Knie weich wurden. Er setze sich in das staubige Gras, schaute sich nach Coralina um und mußte in die Sonne blinzeln, um sie anzusehen.
    Sie stand aufrecht zwei Schritte hinter ihm, hob sich als dunkle Silhouette vor der Strahlenaureole am Himmel ab. Sie bewegte sich nicht, sagte kein Wort, blickte nur auf das Wrack des BMW und auf die Tafel, die den Wagen wie eine titanische Faust zermalmt hatte.
    Schließlich … nach endlosen Sekunden, wie es schien -trat sie vor ihn, versperrte ihm die Sicht auf die Trümmer und streckte ihm die Hand entgegen.
    »Komm«, sagte sie leise, »wir müssen weiter, bevor die Polizei hier ist.«
    Jupiter zögerte einen Augenblick, dann ergriff er ihre Hand und richtete sich auf.

KAPITEL 13

Die Treppe
    Im Wrack des Lieferwagens erreichten sie die Stadt. Der Laderaum war nur noch verbeultes Blech, die Karosserie verzogen, und die Hinterräder schleiften rasselnd gegen einen Widerstand. Aber der Motor funktionierte noch einwandfrei. Sie kamen sich vor wie zwei Kriegsveteranen in einem alten Hollywoodfilm, die am Ende ausgezehrt, aber mit neuer Kraft in die Heimat zurückkehrten.
    Wie durch ein Wunder wurde keine Polizeistreife auf sie aufmerksam. Sie ernteten eine Vielzahl verwunderter Blicke, manche erschrocken, andere amüsiert, aber niemand stellte sie zur Rede. Sie hatten den Unfallort verlassen, bevor Hilfe eintraf. Hinter ihnen hatten Fahrzeuge angehalten, aber Jupiter und Coralina waren nicht sicher, ob jemand ihre Autonummer notiert hatte. Vermutlich, ja … aber im Augenblick war ihnen selbst das gleichgültig. Neue Entschlossenheit trieb sie vorwärts, und sie waren es leid, mit Spekulationen Zeit zu vertun.
    Als erstes fuhren sie zu dem Kunstschmied in der Via Giulia, wo Coralina vor drei Tagen den durchgepausten Umriß des Schlüssels abgegeben hatte. Man ließ sie eine ganze Weile in einem Vorraum warten, an dessen Wänden schmiedeeiserne Gitter ausgestellt waren. Jupiter fühlte sich wie ein Gefangener in einem Käfig, und er atmete auf, als man ihnen endlich den Schlüssel brachte. Erwartungsvoll legten sie ihn auf die Vorlage. Die Maße stimmten exakt.
    Es war ein sonderbares Gefühl, den Schlüssel in Händen zu halten. Obwohl er erst vor kurzem geschmiedet worden war, haftete ihm die

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