Das Haus des Daedalus
Aura des Alters an wie eine unsichtbare Patina. Die Gewißheit, daß er ein Tor zur Vergangenheit öffnen konnte, verlieh ihm ein unbestimmbares, rätselhaftes Gewicht.
Coralina hatte den Schmied bereits bei Auftragserteilung bezahlt, was sie davor bewahrte, erneut die Kreditkarte benutzen zu müssen. Sie gingen zurück zum Wagen … oder dem, was davon übrig war … und fuhren durch einen Irrgarten schmaler Gäßchen nach Nordwesten. Coralina mied die großen Straßen, aus Angst, doch noch von der Polizei angehalten zu werden. Schon fürchtete Jupiter, sie könnten sich erneut im Gewirr der Innenstadt verfahren, doch diesmal konnten sie keinerlei Anzeichen der Labyrinthisierung erkennen, von der Trojan so überzeugt gewesen war.
Schließlich parkten sie den Wagen in einer Seitenstraße der Via Sistina und gingen den Rest der Strecke bis zur Via Veneto zu Fuß.
Das Kapuzinerkloster wurde durch die düstere Fassade der Kirche Santa Maria della Concezione markiert, unweit der Piazza Barberini. Eine steile Treppe führte hinauf zum Portal der Kirche. Ein junges Pärchen kam ihnen entgegen, Rucksacktouristen, die sich angeregt in einer skandinavischen Sprache unterhielten. Ihren Mienen nach zu urteilen, einer Mischung aus Abscheu und makaberer Belustigung, hatten sie gerade die Knochengruft des Klosters besucht. Es war ein befremdlicher Gedanke, daß der geheime Zugang zum Haus des Daedalus an einem Ort zu finden sein sollte, der täglich von Reisenden aus aller Welt besucht wurde.
Sie machten gar nicht erst den Versuch, auf eigene Faust nach dem Tor zu suchen, sondern klingelten am Haupteingang des Klosters. Ein bärtiger Mönch in dunkler Kutte öffnete ihnen, musterte sie von oben bis unten und wollte ihnen mit touristenerprobter Höflichkeit den Weg zur Gruft weisen. Coralina unterbrach ihn und erklärte ihm mit knappen Worten, daß sie den Abt des Klosters zu sprechen wünschten. Um ganz sicher zu gehen, daß man sie vorlassen würde, erwähnte sie den Namen Santino und fügte hinzu, daß es um nichts Geringeres gehe als das Tor.
Der Mönch wußte offenbar nicht, wovon sie sprach -lediglich die Erwähnung Santinos zauberte eine leichte Blässe in sein Gesicht -, doch er bat sie, einen Moment zu warten, und drückte die Tür wieder ins Schloß.
Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und ließ sie eintreten. Am anderen Ende einer schmucklosen Eingangshalle führte er sie eine Treppe hinauf, deren Stufen unter ihren Schritten knirschten. Wenig später erreichten sie das Arbeitszimmer des Abtes.
Das Eintreten war wie ein Klimawechsel. Düsteres, unterirdisches Licht erfüllte den Raum, obgleich er im ersten Stock lag. Das hohe Fenster wies hinaus auf einen Hof, in dessen Mitte ein blattloser Baum stand, grau und leblos, wie versteinert. Die Scheiben waren gelbstichig, doch das mochte eine Täuschung sein, hing doch zwischen ihnen und dem Fenster eine Wolkenbank aus Pfeifenrauch. Jupiter wußte nicht, ob es Kapuzinern verboten war, zu rauchen; sicher war jedenfalls, daß der Mann hinter dem Schreibtisch seine Pfeife gerade erst ausgeklopft hatte, so als wollte er vermeiden, daß man ihn bei etwas Ungehörigem ertappte.
»Mein Name ist Dorian. Ich bin der Abt dieses Klosters.«
Wie alle Angehörigen des Ordens trug er eine dunkle Kutte. Ein schwarzer Bart sproß aus seinem spitz vorspringenden Kinn. Sein Alter war schwer zu schätzen. Vermutlich war er nicht älter als fünfzig, aber seine Haut war faltig, und er hatte Sorgenringe unter seinen tiefliegenden Augen.
Sie stellten sich vor, und Dorian bat sie, Platz zu nehmen. Er schickte den Mönch, der sie hergeführt hatte, aus dem Zimmer, mit der Anweisung, er wolle nicht gestört werden. Dann ließ sich Dorian mit einem erschöpften Laut in einen Holzstuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs sinken.
»Was wissen Sie über Santino?« fragte er unumwunden, nachdem die Tür ins Schloß gefallen war.
Sie hatten während der Fahrt zum Kloster darüber gesprochen, was sie dem Abt verraten wollten, und waren zu dem Schluß gekommen, daß es von der Situation abhinge … und dem Eindruck, den der Abt auf sie machte. Jetzt wußten sie beide nicht recht, was sie von Dorian halten sollten. Fest stand, daß er auf den ersten Blick nicht der väterliche, weise Geistliche war, den sie sich erhofft hatten, jemand, der ihnen Eröffnungen machen, kluge Ratschläge geben und vielleicht sogar eine unangenehme Entscheidung abnehmen würde.
Dorian sah aus wie ein
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