Das Haus des Daedalus
daß es nun kein Entkommen mehr gäbe, mußte Landinis Wagen einem Fiat ausweichen, der von hinten heranraste. Die beiden Fahrzeuge wären kollidiert, hätte der BMW-Fahrer nicht im letzten Moment das Steuer herumgerissen. Der Fiat fuhr nach heftigem Schlenkern ungehindert weiter, der BMW aber stellte sich mit aufheulendem Motor quer.
»Atempause«, keuchte er erleichtert.
»Wie lange?« fragte Coralina. Rücksichtslos fädelte sie den Lieferwagen in den Verkehr der Autobahn ein. Jemand hupte, aber sie achtete nicht darauf.
»Eine halbe Minute vielleicht, nicht länger.«
»Bei Tempo hundertzwanzig macht das einen Kilometer Vorsprung, oder?«
»Schon immer gut im Kopfrechnen gewesen?«
»Ich geb mir Mühe.« Sie drückte wieder aufs Gas. »Ein Kilometer reicht nicht. Wir müssen schneller werden.«
»Wie schnell fährt dieser Traumwagen denn?«
»Hundertvierzig. Mit Rückenwind ein bißchen schneller.«
Jupiter wischte sich Schweiß von der Stirn. »Der BMW kommt locker auf zweihundertzwanzig.«
»Das soll er bei den Schlaglöchern mal versuchen. Mal sehen, wie weit er kommt.«
Jupiter sah sie von der Seite an. »Kann es sein, daß du plötzlich erstaunlich optimistisch bist?«
»Was hilft’s, wenn ich die ganze Fahrt rumjammere?« Ganz kurz erwiderte sie seinen Blick. »Oder nur auf den Tacho starre.«
»Ich starre nicht auf den Tacho!«
»So? Etwa auf meine Beine?«
Einen Moment lang blickte er sie aus großen Augen an, dann schüttelte er den Kopf und griff durch das kaputte Fenster nach seinem Seitenspiegel. Er stellte ihn so ein, daß er die Autobahn hinter ihnen im Blick hatte. »Ich schätze«, sagte er ätzend, »bei all deinem Risikotraining brauchst du keinen Spiegel.«
»Ihr Männer könnt einfach nicht akzeptieren, daß euch manche Frauen am Steuer überlegen sind.«
Jupiter wollte etwas erwidern, als er im Spiegel das vertraute silberne Blitzen entdeckte. Der BMW war etwa zehn Wagen hinter ihnen. Er fuhr auf der Überholspur wie sie selbst.
»Da kommen sie.«
Coralina ließ sich nicht beirren.
Jupiter sah, daß die Nadel über die Hundertvierzig kletterte.
»Siehst du«, sagte sie, »du starrst doch auf den Tacho.«
»Ich finde, ich hab allen Grund dazu!«
Sie lächelte, und abermals hatte Jupiter das befremdliche Gefühl, daß ihr diese Verfolgungsjagd Spaß machte … trotz allem, was vorgefallen war. Trotz der Shuvani.
Coralina überholte rechts ein Taxi, scherte wieder nach links aus und raste weiter. Zu beiden Seiten rauschten die braunen Äcker vorbei, gesprenkelt mit Baumreihen und Scheunen. In unregelmäßigen Abständen standen am Rand der Fahrbahn Werbetafeln, auf denen Hotels, Spirituosen und Fahrzeugmarken angepriesen wurden. Bald erschienen auch die ersten Wohnblocks, Bienenstöcke aus Balkonreihen mit ausgebleichten Markisen.
»Vielleicht sollten wir von der Autobahn runter«, schlug Jupiter vor. »In einem der Vororte können wir sie vielleicht abhängen.«
Coralina schüttelte entschieden den Kopf. »Da gibt’s nur breite Zufahrtstraßen. Wir müssen näher an den Stadtkern ran. In den Gassen stehen die Chancen besser, sie loszuwerden.«
Erneut blickte er in den Spiegel. Im ersten Moment dachte er schon, der BMW hätte sie verloren; er war nirgends zu sehen. Dann aber erschien er hinter einem Schwertransporter, viel näher, als Jupiter gehofft hatte.
»Er ist nur noch vier Wagen hinter uns.«
»Dann wird er uns gleich einholen«, sagte Coralina verbissen. Sie zog den Lieferwagen nach rechts.
»Warum bleibst du nicht links?«
»Laß mich mal machen.«
»Es ist auch mein Leben«, entgegnete er giftig.
Sie gab keine Antwort, hantierte statt dessen mit hektischen Bewegungen am Rückspiegel. Durch die schmale Heckscheibe war kaum etwas zu erkennen.
»Kannst du nach hinten klettern und durchs Fenster schauen?« fragte sie.
»Und was soll das bringen?«
»Ich muß wissen, wann sie fast auf einer Höhe mit uns sind.«
»Klingt nach einer ziemlich verrückten Idee.«
»Ist die beste, die mir einfällt.«
»Vielleicht könntest du ein paar Details …«
Sie unterbrach ihn mit unerwarteter Schärfe. »Bitte, Jupiter! Klettere nach hinten, schau aus dem Fenster und sag mir, wenn sie uns einholen.«
Wieder knallten sie in ein Schlagloch, wurden durchgeschüttelt wie auf einer Achterbahn. »Bei dem Tempo soll ich im Wagen rumklettern?« fragte er fassungslos, wartete aber nicht auf eine Antwort, sondern löste den Sicherheitsgurt und krabbelte durch die Lücke
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