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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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geschahen. Er mußte dieser
Sache auf den Grund kommen. Wer tat so etwas, und warum?
»Bruder Athelstan! Bruder Athelstan!« Cranston stand
vor ihm und grinste spöttisch auf ihn herab. »Du trinkst
zuviel Rotspon, Priester«, verkündete der Coroner
feixend. »Komm, wir müssen uns die Gemächer des
verstorbenen Konstablers anschauen. Colebrooke und Sir Fulke sind
schon unterwegs.«
    Sir Ralphs Quartier
erreichte man über eine blankgebohnerte Holztreppe in einem
der Türme des White Tower: ein angenehmes, von Wohlgeruch
erfülltes Gemach, so ganz anders als die finstere Zelle
drüben in der Nordbastion. Durch zwei kleine Nischenfenster
mit gepolsterten Fensterbänken und ein großes
Erkerfenster, dessen buntes Glas das Lamm Gottes darstellte, fiel
Licht herein. Die verputzten Wände waren hellgrün und mit
silbernen und goldenen Rauten verziert. Ein dicker Teppich hing
über dem kleinen Kamin, der Boden glänzte, und auf dem
großen Bett lag eine goldbetreßte Decke. Am
Fußende des Vierpfostenbettes stand aufgeklappt Sir Ralphs
große Privattruhe.
    »Das ist ja
luxuriös!« flüsterte Cranston. »Was hat Sir
Ralph nur so sehr geängstigt, daß er von hier in diese
trostlose Kerkerzelle umgezogen
ist?«   
    Cranston und Athelstan
hockten sich vor die Truhe und sahen Sir Ralphs persönliche
Papiere durch, fanden aber nichts über seine Jahre in
Outremer. Alle Dokumente betrafen sein Amt als Konstabler oder
seinen Dienst in John von Gaunts Gefolge. Etwa eine Stunde
verbrachten sie damit, Briefe, Verträge und Memoranden zu
sichten. Nur ein Stundenbuch fiel Athelstan auf. Jede Seite war mit
zarten, filigranen Schnörkeln in strahlenden Farben verziert:
Auf einer Seite fanden sich mit leichter Hand gemalte
Engelsgestalten, auf einer anderen besprengte ein Priester einen in
Tücher gehüllten Leichnam mit Weihwasser, bevor er ihn
ins Grab legte. Auch die Christgeburt war dargestellt, Maria und
Joseph beugten sich über das schlafende Kind, und Christus im
Fegefeuer, wie er schwarzgesichtige Dämonen mit der
bloßen Kraft seines goldenen Auges vertrieb. Athelstan war
fasziniert von der Schönheit des Buches. Er schaute auf die
Innenseite des Einbandes und sah Stoßgebete an den heiligen
Julian, die Sir Ralph hingekritzelt hatte. »St. Julian, bitte
für mich! St. Julian, wende ab den Zorn Gottes! St. Julian,
sei mein Fürsprecher bei der Mutter des Herrn!« Die
leeren Seiten am Ende des Buches waren mit ähnlichen
Beschwörungen gefüllt. Athelstan las sie gründlich
und ignorierte Cranstons Murren und Sir Fulkes verärgertes
Stiefelknarren. Endlich klappte er die Truhe zu und richtete sich
auf.        
    »Seid Ihr
fertig, Bruder?« fauchte der Edelmann.
    Athelstan sah ihn
scharf an. Sir Fulke war offensichtlich ein Mann, der sich hinter
einer Mauer aus Leutseligkeit und Gutmütigkeit verbarg; jetzt
aber schien er wütend, mißtrauisch und verärgert
über ihr Eindringen.
    »Bin ich
fertig?« echote Athelstan. »Ja und nein, Sir
Fulke.«
    Der Ritter blies die
Wangen auf. »Der Tag vergeht, Bruder«, bemerkte er
schnippisch und spähte aus dem Fenster. »Ich bin ein
vielbeschäftigter Mann, der sich um manches zu kümmern
hat. Was wollt Ihr noch?«
    »Ihr tragt
Stiefel, Sir Fulke?«
    »Ja, ich trage
Stiefel«, äffte er Athelstans Tonfall nach.
    »Stiefel mit
Schnallen?«
    Alle Farbe wich aus
Sir Fulkes Gesicht.
    »Ja«,
murmelte er.
    »Nun
…« Athelstan zog die Schnalle, die er auf dem
gefrorenen Wassergraben gefunden hatte, aus seinem Beutel.
»Ich nehme an, die gehört Euch. Wir haben sie vor dem
Turm der Nordbastion gefunden. Dennoch sagt Ihr, Ihr wart die ganze
Nacht in der Stadt.«
    Sir Ralphs Bruder
schluckte, alle Arroganz war aus seiner Stimme
verschwunden.
    »Ich habe die
Schnalle gestern verloren.«
    »Wart Ihr auf
dem Eis?«
    Sir Fulke
lächelte plötzlich. »Ja. Heute früh. Ihr seid
nicht der einzige, Bruder, der auf die Idee gekommen ist, die
Mörder könnten nachts an der Mauer hinaufgeklettert sein,
um Sir Ralph zu ermorden.«
    Athelstan warf ihm die
Schnalle zu, und Sir Fulke fing sie ungeschickt auf.
    »Damit sind wir
hier fertig, Sir John. Vielleicht eine
Erfrischung?«
    Auf dem Gang trafen
sie Colebrooke, dankten ihm für seine Aufmerksamkeit und
gingen über die Außentreppe in den Innenhof des Tower.
Athelstan schätzte, daß es zwei Uhr mittags sein
müsse, und ein Diener, den sie an der Großen Halle
trafen, bestätigte dies. Sie wollten gerade durch das Tor von
Wakefield hinausgehen,

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