Das Haus des roten Schlächters
will
niemanden beschuldigen. Ich konstatiere nur einen merkwürdigen
Zufall.«
»Rastani ist aus
Palästina!« rief Mowbray. »Und Sir Ralph hat sich
von seinem angeblich treuen Diener abgewandt.«
»Warum sagt Ihr
angeblich?« fragte Cranston rasch.
»Weil ich nicht
glaube, daß Rastanis Bekehrung zu unserem Glauben ehrlich
war. Wenn solche Leute einen Groll hegen, warten sie jahrelang, bis
sie die Rechnung präsentieren.«
»Aber Rastani
war doch nicht im Tower?«
»Er könnte
sich zurückgeschlichen haben.«
»Nein, nein,
nein.« Athelstan schüttelte den Kopf. »Sir Ralphs
Tod ist komplizierter. Ihr habt mit ihm gedient?«
»Ja. Der Kalif
von Kairo hat uns in seinen Sold genommen, um die Aufstände in
der Stadt Alexandria niederzuschlagen.«
»Und
danach?«
»Sir Ralph fuhr
nach Hause. Wir blieben noch eine Weile, bevor wir in unser
Ordenshaus in Clerkenwell heimkehrten.«
»Seid Ihr je
übers Meer zurückgekehrt?« fragte Cranston. Mowbray
schüttelte den Kopf. »Nein, Fitzormonde irrt sich da in
einer Kleinigkeit. Als wir mit Sir Ralph dienten, waren wir keine
Hospitaliter. Wir sind erst in den Orden eingetreten, nachdem Sir
Ralph weg war. Der Orden hat uns dann nach England
zurückgeschickt. Ich bin in Clerkenwell, Fitzormonde in
unserem Ordenshaus in Rievaulx in der Nähe von York.«
Athelstan studierte die verschlossenen, finsteren Gesichter der
beiden Ritter.
»Verzeiht
mir«, sagte er ruhig, »ich möchte Euch nicht
Lügner nennen, aber hier ist etwas sehr Geheimnisvolles im
Gange, und Ihr seid daran beteiligt.« Er beugte sich vor und
zog plötzlich Mowbrays Mantel zur Seite. »Ihr tragt ein
Kettenhemd? Und Ihr auch, Sir Brian? Warum? Fürchtet auch Ihr
den Dolch des Assassinen? Wie gut schlaft Ihr des Nachts? Welche
Geheimnisse teiltet Ihr mit Sir Ralph?«
»Beim Heiligen
Kreuz!« Sir Brian sprang auf. »Das habe ich mir jetzt
lange genug angehört. Wir haben Euch gesagt, was wir
können. Belaßt es dabei!«
Die beiden
Hospitaliter rauschten hinaus. Cranston ließ sich auf einen
Schemel fallen und streckte die Beine aus.
»Ein ziemliches
Durcheinander, was, Bruder? Womit haben wir es hier zu tun? Mit
Hochverrat, begangen von Unbekannten? Oder mit gemeinem Mord um
Mitternacht?«
»Ich weiß
es nicht.« Athelstan drückte den Stopfen auf sein
Tintenhorn und ordnete sein Schreibzeug. »Aber wir haben
die Schnalle,
die wir auf dem Eis des Festungsgraben gefunden haben, und ich
weiß, wem sie gehört.«
»In drei Teufels
Namen!« rief Cranston. »Für einen Mönch hast
du scharfe Augen, Athelstan.«
»Für einen
Ordensbruder bin ich ziemlich flink, Mylord Coroner, und das
wäret Ihr auch, wenn Ihr weniger Rotwein trinken
wolltet.«
»Ich trinke, um
meinen Schmerz zu ertränken.« Cranston wandte den Blick
ab. Was Maude wohl gerade tat? dachte er bang. Was verbarg sie vor
ihm? Warum sprach sie es nicht aus, statt ihm diese langen,
trauervollen Blicke zuzuwerfen? Cranston starrte wütend die
kleine Statue in einer Nische an, die Jungfrau mit dem Kind.
Insgeheim haßte er das Weihnachtsfest. Um diese Zeit erwachte
immer die Erinnerung an den kleinen Matthew, den die Pest geholt
hatte - aber nicht, bevor der Kleine ihn jenes Staunen hatte sehen
lassen, mit dem jedes Kind das Weihnachtsfest begrüßt.
Hatte auch Maude ihre Erinnerungen? »Sir
John!«
Cranston blinzelte die
Tränen weg und grinste zu Athelstan hinüber.
»Ich brauche
eine Erfrischung, Mönch!«
Athelstan sah den
Schmerz im Gesicht seines Freundes und wandte sich ab.
»Nachher, Sir
John. Erst müssen wir mit Sir Fulke sprechen. Ich möchte
Sir Ralphs Schlafgemach hier im White Tower
durchsuchen.«
Cranston nickte und
schwankte schwerfällig davon. Athelstan packte sein
Schreibpapier ein, blieb sitzen und bewunderte die Schönheit
der St.-Johns-Kapelle und verglich sie mit der Düsternis von
St. Erconwald. Dann dachte er an Benedicta. Wie hübsch sie in
der Frühmesse ausgesehen hatte. Ob Huddle sie für sein
Gemälde von Mariä Heimsuchung verwenden würde, das
für einen der Gänge geplant war? Und was würde sie
wohl Weihnachten Vorhaben? Sie hatte von einem Bruder in Colchester
gesprochen. Vielleicht würde sie aber auch in Southwark
bleiben, mit ihm Spazierengehen oder sich wenigstens auf einen
Becher Wein zu ihm setzen und über die Vergangenheit plaudern.
Weihnachten konnte so einsam sein … Athelstans Blick fiel
auf ein Kruzifix, und plötzlich fielen ihm die Greuel ein, die
auf dem Friedhof von St. Erconwald
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