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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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versuchte, mit einem Stock zwei hungrig aussehende Hunde zu
vertreiben, die verdächtig an den blutigen Füßen
des toten Bettlers schnupperten. Cranston warf dem Jungen einen
Penny zu, stieg auf ein umgestürztes Faß und
brüllte so laut, daß der halbe Markt ihn hören
konnte, er sei der Coroner der Stadt, und warum niemand dem armen
Bengel helfe, den Toten wegzuschaffen?
    »Und wenn du der
verfluchte Bürgermeister selbst bist, das ist mir doch
egal!« schrie einer der Händler zurück.
»Verpiß dich und laß uns in
Ruhe!«
    Athelstan zog sich die
Kapuze über den Kopf und die Ärmel herunter. Er
wußte, was jetzt kam. Cranston, ganz in seinem Element,
sprang vom Faß herunter und packte den unglücklichen
Händler an der Kehle.
    »Ihr seid
verhaftet, Sir!« donnerte er. »Wegen Hochverrats! Denn
dieses Verbrechen habt Ihr begangen. Ich bin der Coroner des
Königs. Verspottet mich, und Ihr verspottet die Krone.«
Der Mann wurde bleich und riß die Augen auf.
    »Und jetzt,
Sir«, fuhr Cranston ruhig fort, während die anderen
Händler unauffällig verschwanden, »kann ich den
Bezirksvorsteher auffordem, ein Standgericht einzuberufen, oder wir
können uns auf ein Bußgeld einigen.«
    »Ein
Bußgeld! Ein Bußgeld!« ächzte der Mann mit
jetzt puterrotem Gesicht.
    Sir John packte fester
zu. »Zwei Shilling!« verkündete er und
schüttelte den Kerl so heftig, daß Athelstan einen
Schrecken bekam und sich einmischen wollte; aber der Coroner winkte
ab. »Zwei Shilling, zahlbar sofort«, wiederholte
er.
    Der Mann wühlte
in seiner Börse und drückte dem Coroner die Münzen in die
Hand. Sir John ließ ihn los, und der Mann ließ sich
würgend und hustend auf alle viere fallen.
    »War das
nötig, Sir John?« fragte Athelstan leise.
    »Ja, Bruder, das
war nötig«, erwiderte Cranston. »In dieser Stadt
regiert die Furcht. Wenn ein Händler mich verspotten darf,
wird es binnen einer Woche jeder Bastard in London ihm
gleichtun.« Cranston runzelte die Stirn, als zwei
Büttel, durch den Aufruhr aufmerksam geworden, herankamen.
Ihre wichtigtuerischen Mienen veränderten sich, als sie Sir
John erkannten.
    »Mylord
Coroner!« rief einer von ihnen atemlos. »Was
wünscht Ihr?«
    Cranston deutete auf
den toten Bettler. »Laßt den entfernen!« befahl
er. »Ihr kennt eure Aufgabe. Wer weiß, wie lange der
arme Teufel hier schon liegt. Jetzt bewegt euch ein bißchen,
sonst trete ich euch beiden in den Arsch!«
    Die Büttel zogen
sich unter Verneigungen und Kratzfüßen zurück, als
wäre der Coroner der Regent persönlich. Cranston wandte
sich dem Jungen zu und schnippte mit den Fingern. Der Junge kam
heran; seine Arme und Beine waren dünn wie Reisig, seine Augen
groß und rund in einem langen, bleichen Gesicht. Er steckte
den Daumen in den Mund.
    »Hier, mein
Junge.« Cranston drückte die zwei Shilling in die
ausgemergelte Hand. »Und jetzt gehst du nach Greyfriars. Das
kennst du? Das Kloster zwischen Newgate und St. Martin’s
Lane. Frag nach Bruder Ambrose und sag ihm, Sir John hat dich
geschickt.«
    Der Junge ballte die
Faust um das Geld, starrte Sir John an, spuckte ihm sauber zwischen
die Stiefel und flitzte davon.
    Der Coroner sah ihm
nach. »Der Prediger Ball hat recht«, brummte er.
»Sehr bald werden in dieser Stadt die Feuer des Aufstands
lodern, wenn die Reichen nicht ihre fetten Ärsche bewegen und
mehr tun, um den Armen zu helfen.« Er wandte sich ab, und
sein Gesicht war ernst und bekümmert. »Glaub mir, Bruder, der Engel des
Herrn steht auf der Schwelle, den Dreschflegel der göttlichen
Vergeltung in der Hand. Und wenn dieser Tag kommt«,
flüsterte er rauh, »dann werden mehr Menschen umkommen,
als jetzt hier auf dem Markt sind.«
    Athelstan nickte und
schaute sich um. Der Marktplatz war voll von reichen Händlern,
in Pelze gehüllten Kaufleuten und den wohlhabenden Handwerkern
in ihren Jacken aus Kaninchen- und Maulwurfsfell. Die meisten sahen
gut genährt, ja, rundlich aus; aber in den Gassen abseits des
Marktes sah Athelstan die Armen - nicht solche wie die in seiner
Pfarrgemeinde, sondern die Landlosen, die aus ihren Katen
vertrieben worden waren und in die Stadt gezogen waren, um Arbeit
zu finden, obwohl es hier keine gab. Die Zünfte beherrschten
alles, und bald würden die Streuner hinausgeworfen werden; man
würde sie über die London Bridge scheuchen, in die
Elendsquartiere und die gewalttätige Unterwelt von
Southwark.
    »Kommt, Sir
John«, murmelte er.
    Sie ritten die Mercery
hinauf und wichen aus,

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