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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Athelstan.
Und der Leib? dachte er. Würde der in Sicherheit ruhen? Er
schaute auf seine Hände und sah den Kalkstaub an den
Fingerspitzen. Woher kam der? Während der Messe war er noch
nicht dagewesen.
    »Pater?«
flüsterte Crim, der Ministrant.
    Athelstan schrak
hoch.
    »Pater«,
wiederholte der Junge, und sein Gesicht verzog sich zu einem kecken
Grinsen. »Ihr habt aufgehört zu beten.« Athelstan
schüttelte seine Gedanken ab.
    »Wir bitten
Dich, heiliger Erzengel Michael«, intonierte er das letzte
Gebet, »nimm die Seele dieses unseres Bruders
…«Er hielt inne. Wie sollte er ihn nennen? Tosspot?
Aber das bedeutete »Saufkopf«. Was würden die
Engel von einem solchen Namen denken? »Nimm die Seele unseres
Bruders Tosspot«, fuhr er trotzig fort, »zu dir in
Abrahams Schoß.«
    Der Bruder funkelte
die Gemeinde an, aber alle knieten da und hielten die Köpfe
weise gesenkt, um ihr Grinsen zu verbergen. Athelstan versuchte,
sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen; er winkte Watkin
und Pike, die Bahre zu nehmen und ihm und Crim, der einen
brennenden Kienspan trug, auf den Kirchhof zu folgen. Der kalte
Wind draußen blies den Kienspan aus. Crim rutschte auf dem
Eis aus und fiel auf den Hintern; er fluchte so laut, daß
Athelstan sich auf die Lippe beißen mußte, um ernst zu
bleiben. Sie gingen über den einsamen, gespenstischen Kirchhof
zu dem flachen Grab, das Pike ausgehoben hatte. Athelstan sah die
beiden Aussätzigen in ihren Kapuzenmänteln am Totenhaus.
Plötzlich fiel ihm ein, wie er mit dem Zweig die Hostien
für die beiden Unglückseligen durch den Lepraspalt
geschoben hatte. Athelstan lächelte. Daher kam der
Kalkstaub.
    Sie hatten das Grab
erreicht. Pike und Watkin rollten den alten Tosspot in die flache
Grube und bedeckten ihn hastig mit gefrorenen Erdklumpen,
während Athelstan ein paar Gebete murmelte. Athelstan segnete
das Grab, und Watkin äußerte düster die Hoffnung,
der Leichnam möge drinbleiben. Dann kehrten sie in die Kirche
zurück. Athelstan beschloß, die Spekulationen des
Mistsammlers zu ignorieren. Die Grabräuber, wer immer sie
gewesen sein mochten, waren anscheinend nicht mehr da. Vielleicht
waren sie weitergezogen, um einen anderen unglücklichen
Priester zu quälen. Er ging durch das Kirchenschiff in die
kleine, eisige Sakristei und schrak zusammen, als eine große
Gestalt aus dem Schatten hervortrat.
    »Sir
John!« schimpfte er. »Müßt Ihr da lauern wie
ein Dieb in der Nacht?«
    Cranston grinste
verschlagen. »Ich habe mit dir zu reden, Bruder. Aber nicht
hier.«
    Athelstan musterte ihn
aufmerksam. »Habt Ihr getrunken, Sir John?«
    Cranston grinste.
»Ja und nein. Schnell! Ich warte, während du dich
umziehst.«
    Athelstan verbarg
seinen Ärger. Er streifte Meßgewand, Stola und Chorrock
ab, hängte alles eilig in den Schrank, gab dem gaffenden Crim
einen Penny für seine Hilfe und schob Sir John in die Kirche
zurück. Dann winkte er Benedicta heran, die vor dem
Taufbrunnen stand.
    »Schließ
die Sakristei ab«, bat er sie leise. »Und dann
räumt die Kirche auf.« Er sah sich um.
»Watkin!« rief er. Der Mistsammler kam langsam
näher und ließ Sir John nicht aus den Augen.
»Watkin«, vertraute Athelstan ihm an, »ich werde
eine Weile weg sein. Du sollst darauf achten, daß die Kerzen
gelöscht werden und die Kirche abgeschlossen ist, und wenn du
dir solche Sorgen um den Friedhof machst, kannst du ja selbst dort
Wache halten.«
    Der Sakristan machte
ein gekränktes Gesicht; und Athelstan hätte sich die
Zunge abbeißen können. Er hatte nicht so scharf sein
wollen, aber Cranstons geheimnisvolles Auftauchen hatte ihn
nervös gemacht.
    Er führte den
Coroner zur Kirche hinaus. Cranston sah Bonaventura heranspringen,
um sie zu begrüßen, aber er hatte keine Lust darauf,
daß der verfluchte Kater sich wieder an seinem Bein rieb;
also schickte er Athelstan, die Pferde holen.
    »Folge mir, mein
Mephistopheles«, knurrte er, »zu einem Ort, wo es warm
und sicher ist.«
    Sie überquerten
den ausgefahrenen Weg, schlängelten sich zwischen
schwerrädrigen Karren hindurch und führten die Pferde
hinunter zur London Bridge und in die willkommene Wärme der
Schenke Zum Gescheckten Pferd. Cranston liebte dieses Lokal, eine
wahre Lasterhöhle, aber auch ein Ort, wo es gutes Ale, feinen
Wein und köstliches Essen gab. Selbstverständlich kannte
der Coroner den Wirt, Joscelyn,
persönlich.  
    »Ein echter
Sünder«, so hatte er ihn einmal beschrieben, »der
in den Himmel kommen

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