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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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Scheißaugen auf.
    Ich gehorchte. Eine dünne weiße Narbe zog sich auf ihrer linken Brust an der Seite hoch und einmal um die Brustwarze.
    Das war mein Manager mit ’ner Rasierklinge, Joe. Weil ich keine ganze Jagdgesellschaft als Kunden wollte. Glaubst du, deine Drohungen machen mir Angst?
    Nein.
    Genau. Nein. Du heulst, oder? Heul, so viel du willst, Joe. Viele Männer heulen, wenn sie eine Frau wie Dreck behandelt haben. Ich hab keine Tochter mehr. Dich hab ich wie einen Sohn behandelt. Aber du bist auch nur ein Drecksack wie alle anderen. Ein Gib-mir-Arschloch, Joe. Genau das bist du.
    Sonja ging. Ich blieb bei Mooshum sitzen. Die Zeit implodierte. Mein Kopf dröhnte, als hätte ich einen Schwinger abgekriegt. Manchmal geht bei den Greisen der Atem so flach, dass man ihn nicht bemerkt. Der Nachmittag kam und ging, und die Luft wurde blau, bevor er sich endlich rührte. Seine Augenöffneten sich und schlossen sich wieder. Ich rannte los, holte Wasser und gab ihm einen kleinen Schluck.
    Ich bin noch da, sagte er. Seine Stimme war schwach vor Enttäuschung.
    Ich blieb weiter bei Mooshum auf der Bettkante und dachte über seinen Wunsch nach, einen schönen Tod zu sterben. Ich hatte die Chance bekommen, den Unterschied zwischen Sonjas linker und rechter Brust herauszufinden, aber ich wünschte, es wäre mir erspart geblieben. Und war doch froh darüber. Dieser Konflikt verdrehte mir das Gehirn. Eine Viertelstunde bevor Clemence und Edward mit der Kühltruhe nach Hause kamen, sah ich zu Boden und bemerkte die goldene Quaste, die neben einem der Beine des Feldbetts lag. Ich hob sie auf und steckte sie in die Tasche meiner Jeans.
    Ich hebe diese Quaste nicht in irgendeiner besonderen Kiste auf, jetzt nicht mehr. Sie liegt in der obersten Schublade meiner Kommode, wo Sachen eben so hingeraten, wie Mooshums schlaffe einzelne Socke, in der er sein Geld aufbewahrte. Falls meine Frau je bemerkt hat, dass ich sie besitze, hat sie jedenfalls nichts dazu gesagt. Ich habe ihr nie von Sonja erzählt, nicht wirklich. Ich habe ihr nicht erzählt, wie ich den Rest von Sonjas Kostüm in eine Mülltonne beim Stammesbüro gestopft habe, die vom BIA geleert wurde. Sie würde nicht verstehen, dass ich die Quaste absichtlich so platziert habe, dass sie mir ab und an zufällig in die Hände fällt. Denn immer wenn ich sie sehe, erinnere ich mich daran, wie ich Sonja behandelt habe und wie sie mich behandelt hat, oder daran, wie ich ihr gedroht habe und was alles darauf folgte, oder wie ich nur einer wie alle anderen war. Wie mich das fertigmachte, als ich endlich richtig darüber nachdenken konnte. Ein Gib-mir-Arschloch. Vielleicht war ich das. Aber nachdem ich lange, lange darüber nachgedacht hatte – mein ganzes Leben lang –, wollte ich etwas Besseres sein.
    * * *
    Doe hatte vorn am Haus eine Veranda angebaut, die sich schnell, wie so ziemlich alle unsere Veranden, mit nützlichem Müll anfüllte. Winterreifen lagen da, in schwarze Müllsäcke verpackt, rostige Wagenheber, ein verbeulter Hibachi-Grill, kaputtes Werkzeug und altes Plastikspielzeug. Zwischen all diesem Treibgut saß Cappy mit hängenden Schultern in einem durchgesessenen Liegestuhl. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und starrte auf die von Hundekrallen zerkratzten Bohlen. Er sah nicht einmal hoch, als ich zu ihm rüberging und mich auf eine alte Bierbank setzte.
    Hey.
    Cappy reagierte nicht.
    Aaniin, Cappy.
    Nichts.
    Erst kam noch jede Menge mehr Nichts, und dann kam raus, dass Zelia mit ihrer Kirchengruppe nach Helena zurückgefahren war, was ich schon wusste, und nach noch ein bisschen Nichts sagte Cappy plötzlich: Zelia und ich, wir haben was zusammen gemacht.
    Wie, was gemacht?
    Wir haben alles gemacht.
    Alles?
    Alles, was uns eingefallen ist … also, bestimmt gibt es noch mehr, aber fast jedenfalls …
    Wo?
    Auf dem Friedhof. Das war, als dein Mooshum Geburtstag gefeiert hat. Und als wir da fertig waren …
    Auf einem Grab?
    Weiß nicht. Wir waren mehr so am Rand, an der Seite. Nicht direkt auf einem Grab.
    Besser so. Das hätte vielleicht Unglück gebracht.
    Garantiert. Also, danach sind wir in den Keller unter der Kirche. Da haben wir es noch ein paar Mal gemacht.
    Was?!
    Im Katechismusraum. Da gibt’s einen Teppich.
    Ich schwieg. Mir schwirrte der Kopf. Kein schlechter Move, sagte ich irgendwann.
    Yeah, und jetzt ist sie weg. Ich krieg nichts mehr hin. Mir tut alles weh. Cappy sah mich an wie ein sterbender Hund. Er tippte sich auf die

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