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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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bleiben sollte.
    Ich ging trotzdem. Auf dem Ausguck ging ich all die Schritte durch, die schon Routine geworden waren. Ich setzte mich mit dem gesicherten Gewehr unter die Eiche. Stellte das Wasserglas neben mich. Die Wolken hingen tief, und es roch nach Regen. Ich war vielleicht seit einer Stunde dort und wartete darauf, dass der Himmel aufklarte, als Lark mit einem alten dreirädrigen Caddy im Schlepptau auf den Abschlag zukam. Er verschwand hinter den Kiefern. Ich hielt das Gewehr in den Armen, wie Cappy es mir gezeigt hatte, und ging den Hügel runter. Ich war diese Abläufe schon so oft im Kopf durchgegangen, dass ich zuerst sogar dachte, ich käme klar. Ich fand meine Markierung am Rand des Gebüschs, hinter dem ich mich halbwegs verbergen konnte. Von dort konnte ich fast jede Stelle auf dem Green ins Visier nehmen, an der Lark auftauchen konnte. Ich entsicherte das Gewehr. Ich schnappte nach Luft und blies sie heftig wieder aus. Ich hielt das Gewehr ganz locker, wie ich es geübt hatte,und versuchte mich zu beruhigen. Aber jeder meiner Atemzüge stockte. Und dann sah ich Lark. Er schlug den Ball von einer kleinen Anhöhe gleich neben der Kiefernpflanzung. Der Ball beschrieb einen Bogen, landete am Rand des Grüns und rollte noch einen Meter Richtung Loch. Lark ging rasch darauf zu. Ein mineralischer Geruch stieg jetzt aus dem Boden auf. Ich legte das Gewehr an und folgte ihm mit dem Lauf. Er stand seitlich und sah auf seinen Golfball runter, kniff voll konzentriert die Augen zusammen, öffnete sie und kniff sie wieder zusammen. Er trug eine gelbbraune Stoffhose, Golfschuhe, eine graue Cap und ein braunes langärmeliges T-Shirt. Er war so dicht dran, dass ich das Logo seines bankrotten Ladens lesen konnte. Vinland. Der Ball rollte bis zwei Handbreit vor dem Loch. Gleich würde er einlochen, dachte ich. Er würde sich hinunterbeugen, um den Ball aufzusammeln. Wenn er sich aufrichtete, würde ich abdrücken.
    Lark ging auf den Ball zu, und bevor er ihn einlochen konnte, schoss ich auf das Logo auf seinem Herzen. Ich traf ihn woanders, in den Bauch vielleicht, und er brach zusammen. Eine laute Stille folgte. Ich ließ das Gewehr sinken. Lark wälzte sich auf seine Knie, richtete sich schwankend auf, fand sein Gleichgewicht und fing an zu schreien. Es war ein hohes Quieken, ein Geräusch, wie ich es noch nie gehört hatte. Ich nahm das Gewehr wieder hoch und lud nach. Ich zitterte so sehr, dass ich den Lauf auf einem Ast ablegen musste. Ich hielt die Luft an und schoss noch einmal. Ich konnte nicht erkennen, wohin ich traf. Wieder griff ich nach dem Verschluss, lud nach und zielte, aber mein Finger rutschte vom Abzug – ich konnte nicht schießen. Lark fiel vornüber. Wieder war es still. Mein Gesicht war tropfnass. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Augen. Lark machte wieder ein Geräusch.
    Bitte, nein. Bitte, nein. Ich hörte diese Worte, aber vielleicht hatte ich sie selbst gesagt. Lark versuchte sich wieder aufzurichten. Er ruderte mit einem Fuß, wälzte sich herum, auf die Knie,und schaffte es in die Hocke. Er sah mir in die Augen. Seine waren so schwarz, dass ich zurücktaumelte. Das Gewehr wurde mir aus der Hand genommen. Cappy trat neben mir vor. Ich hörte keinen Schuss. Alle Geräusche, alle Bewegungen waren in der Schwüle zum Stillstand gekommen. Mir schrillte der Kopf. Cappy sammelte die Patronenhülsen vom Boden auf und steckte sie in seine Hosentasche.
    Komm, sagte er, griff nach meinem Arm und drehte mich weg. Gehen wir.
    Als ich ihm den Hügel hoch folgte, fielen die ersten Tropfen.

KAPITEL ELF
DAS KIND
    An der Eiche drehten wir uns um und schauten runter. Lark lag auf dem Rücken, und die Golfschläger warteten ordentlich verpackt im Caddy. Der Putter lag zu seinen Füßen. Er hatte sich nicht bewegt. Neben mir fiel Cappy auf die Knie. Er beugte sich vor, bis er mit der Stirn den Boden berührte, und verschränkte die Arme hinter dem Kopf wie ein Kind bei einer Tornadoübung. Nach einer Weile hob er den Kopf und schüttelte ihn. Wir wickelten das Gewehr wieder in den Müllsack und legten es zur Seite, während wir die Stelle unkenntlich machten, wo es vergraben gewesen war. Cappy nahm einen Zweig und bürstete das Gras durch, das ich plattgetreten hatte.
    Bei mir ist keiner zu Hause, sagte Cappy. Wir müssen das hier verstecken. Er hatte das Gewehr in der Hand.
    Wir warteten, bis ein vorüberfahrendes Auto außer Sicht war, bevor wir die Straße überquerten. Inzwischen nieselte es. Bei

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