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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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Kaninchenfell gefütterte Elchlederhandschuhe und eine knallblaue Strickmütze mit einem grellrosa Pompon komplettierten das Ensemble. Jeden einzelnen Tag ging er in diesem spektakulären Aufzug vor die Tür und machte sich mit wachsendem Furor an seine Arbeit. Er schien sich kaum zu bewegen, und doch schaufelte er Wege zu den Abfalltonnen frei und schippte den Schnee nicht nur auf den Gehwegen rund um das Haus, sondern von der ganzen Auffahrt und zu beiden Seiten der Treppe weg. Er schaufelte bis zum Boden oder bis zum Beton und ließ nie zu, dass der Schnee sich ansammelte. Wenn es keinen neuen Schnee gab, sondern nur Eis am Boden glänzte, hackte er mit seiner tödlichen Hacke drauflos. Wenn dann alles schmolz, es aber noch zu früh für Gartenarbeit war, aß er wieder pausenlos und nahm zu, was er in seinem allwinterlichen Krieg gegen den Schnee verloren hatte.
    Im Frühling und im Sommer gab es Unkraut, das mit boshaftem Eifer spross, diebische Tiere, Schädlinge und Wetterunbilden. Er benutzte den Handrasenmäher, wie andere in seinem Alter eine Gehhilfe benutzt haben würden, bloß dass er dabei zufällig auch den Rasen raspelkurz hielt. Mit unsichtbarem Feuereifer pflegte er einen großen Gemüsegarten, rodete Quecke und Saumelde mitsamt den Wurzeln und trug eimerweise Wasser für die Kürbishügel herbei, wiederum scheinbar ohne sich zu bewegen. Aus den Blumenbeeten machte er sich nicht viel, aber Clemence hatte ein verwildertes Himbeergebüsch, das in eine Felsenbirne hineingewachsen war. Wenn die Beeren zu reifen begannen, stand Mooshum vor Tagesanbruch auf und verteidigte sie. Er setzte sich als lebende Vogelscheuche in seinen gelben Stuhl und trank seinen morgendlichen Tee. Außerdem hatteer, um die Vögel abzuschrecken, eine Wäscheleine mit Dosendeckeln bestückt. Er hatte die Deckel mit Hammer und Nagel gelocht und sie so eng aneinander an die Leine geknotet, dass sie in jedem Luftzug klapperten. Solche Leinen hängte er kreuz und quer im Garten auf, und ich merkte mir immer genau, wo sie waren, denn die Kanten der Deckel waren scharf und hätten einem achtlos drauflosradelnden Jungen sicher die Kehle aufgeschlitzt.
    Mit Hilfe all dieser endlosen und an Don Quijote erinnernden Tätigkeiten hielt Mooshum sich am Leben. Als er die neunzig überschritten hatte, wurde ihm der graue Star entfernt, und für seine verschrumpelten Kiefer bekam er ein neues Gebiss. Sein Gehör war noch gut. So gut sogar, dass ihn das immer wiederkehrende Rattern von Clemences Nähmaschine am anderen Ende des Flurs ebenso ärgerte wie Onkel Edwards Angewohnheit, beim Durchsehen von Klassenarbeiten Trauermärsche zu summen. Eines Morgens radelte ich in der Junihitze zu ihrem Haus. Er hörte mein Fahrrad schon, als ich noch auf der Hauptstraße war; ich hatte allerdings auch eine Spielkarte an einer der Speichen festgemacht. Mir gefiel das fröhliche Geklapper, und außerdem brachte das Karo-Ass Glück. Jeder hätte mich kommen hören, aber niemand hätte sich in dem Moment so sehr darüber gefreut wie Mooshum. Er hatte sich nämlich in einem großen Vogelnetz verfangen, das er über einen Schneeballbusch hatte werfen wollen, obwohl die Beeren nicht annähernd reif waren.
    Ich lehnte mein Fahrrad an die Hauswand und wickelte ihn aus. Dann faltete ich das Netz zusammen. Ich fragte, wo meine Tante sei und warum sie ihn allein gelassen hatte, aber er bat mich, leise zu sein, sie sei zu Hause.
    Sie hat was gegen das Netz. Die Vögel verheddern sich drin und sterben oder reißen sich die Füße ab.
    Tatsächlich entdeckte ich in dem Moment in einer der Falten des Netzes ein winziges Vogelbein, dessen zierliche Klaue nochimmer einen der Plastikfäden umklammert hielt. Ich machte es behutsam los und zeigte es Mooshum, der es aus zusammengekniffenen Augen betrachtete und mit dem Unterkiefer vor und zurück mahlte.
    Gib, ich verstecke es, sagte er.
    Ich möchte es behalten.
    Ich steckte die Kralle in meine Hosentasche. Ich sage Clemence nichts davon. Vielleicht steckt da Glück drin.
    Brauchst du denn Glück?
    Wir verstauten das Netz in der Garage und gingen zur Hintertür. Der Tag begann warm zu werden, und es wurde langsam Zeit für Mooshums Vormittagsschläfchen.
    Ja, ich brauche Glück, sagte ich zu Mooshum. Du weißt ja, wie es aussieht. Mein Vater hatte mir drei Tage Hausarrest aufgebrummt, weil ich losgefahren war, ohne ihm einen Zettel hinzulegen. Die ganze Zeit hatte ich zu Hause bei meiner Mutter verbracht. Und da war immer noch

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