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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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Sie wussten nicht weiter, hatten keine Verdächtigen, keine heißen Spuren und keine einzige hilfreiche Aussage von meiner Mutter, die inzwischen darauf beharrte, sie habe das gesamte Geschehen vergessen. Das Geld drängte mich weiter dazu, zu reden, etwas preiszugeben.
    Da ist noch etwas, sagte ich.
    Ich legte die Gabel weg und starrte auf meinen leeren Teller. Ich wollte noch ein Stück, am liebsten mit Eis dazu. Und gleichzeitig hatte ich ein flaues Vorgefühl von dem, was ich gleich tun würde, und dachte, ich würde nie wieder etwas essen.
    Noch etwas?, fragte mein Vater. Bjerke wischte sich den Mund.
    Da war eine Akte, sagte ich.
    Bjerke legte die Serviette weg. Mein Vater musterte mich über den Rand seiner Brille hinweg.
    Joe und ich sind ein paar Akten durchgegangen, sagte er zu Bjerke, um meinen unerwarteten Einwurf zu erklären. Wir haben die Fälle rausgesucht, bei denen jemand möglicherweise …
    Nicht so eine Akte, sagte ich.
    Die beiden nickten mir geduldig zu. Dann sah ich, wie mein Vater begriff, dass ich etwas zu sagen hatte, das er noch nicht wusste. Er senkte den Kopf ein Stück und sah mich durchdringendan. Dieser goldgelbe Krake tickte an der Wand vor sich hin. Ich atmete tief ein, und als ich zu sprechen anfing, kam ein kindisches Flüstern heraus, für das ich mich sofort schämte, das die beiden aber elektrisierte.
    Bitte sag’s nicht Mom, dass ich das erzählt habe, ja?
    Joe, sagte mein Vater. Er nahm die Brille ab und legte sie auf den Tisch.
    Bitte, ja?
    Joe.
    Schon gut. An dem Nachmittag, als Mom ins Büro gefahren ist, hat jemand angerufen. Als sie aufgelegt hat, war sie ganz unruhig. Ungefähr eine Stunde danach hat sie gesagt, sie wollte eine Akte holen. Vor einer Woche ist mir diese Akte wieder eingefallen. Also habe ich sie gefragt, ob schon jemand sie gefunden hat. Sie hat gesagt, es gab keine Akte. Und dass ich nie darüber reden sollte. Aber da war eine Akte. Sie wollte sie holen. Das ist alles wegen dieser Akte passiert.
    Mir blieb der Mund offen stehen, als ich fertig war. Wir starrten einander an wie drei Schaufensterpuppen mit Kuchenkrümeln am Kinn.
    Das ist noch nicht alles, sagte mein Vater plötzlich. Das ist nicht alles, was du weißt.
    Er beugte sich mit dieser Geste, die er so gut beherrschte, ein Stück über den Tisch. Er wartete; er schien immer größer zu werden. Natürlich dachte ich zuerst an das Geld, aber das wollte ich auf keinen Fall aufgeben, und wenn ich es erzählte, hätte ich außerdem Sonja mit reingezogen, die ich niemals verraten hätte. Ich versuchte mich herauszuwinden.
    Das war’s, sagte ich. Mehr weiß ich nicht. Aber er wartete einfach. Also verriet ich ihm ein kleineres Geheimnis, wie wir es öfter tun, um jemanden zufriedenzustellen, der etwas weiß und der weiß, dass er etwas weiß, wie mein Vater in dem Moment.
    Schon gut.
    Bjerke beugte sich ebenfalls vor. Ich rutschte ein wenig zu hektisch mit meinem Stuhl rückwärts.
    Immer mit der Ruhe, sagte mein Vater. Erzähl einfach, was du weißt.
    Als wir beim Rundhaus waren und den Kanister gefunden haben, na ja, da haben wir noch was anderes gefunden. Hinter dem Zaun, unten am See. Da waren eine Kühlbox und ein Kleiderhaufen. Die Kleider haben wir nicht angerührt.
    Und die Kühlbox?, fragte Bjerke.
    Na ja, ich schätze, die haben wir aufgemacht.
    Was war da drin?, fragte mein Vater.
    Bierdosen.
    Ich wollte gerade sagen, dass sie leer gewesen waren, aber dann sah ich meinen Vater an und begriff, dass es unter meiner Würde gewesen wäre, zu leugnen, und dass eine Lüge uns beide vor Bjerke lächerlich gemacht hätte.
    Zwei Sixpacks, sagte ich.
    Bjerke und mein Vater sahen einander an, nickten und lehnten sich wieder zurück.
    Schon hatte ich einfach so meine Freunde verraten, um das mit dem Geld geheim zu halten. Ich war verblüfft, wie schnell es passieren konnte. Und es schockierte mich, wie perfekt mein Geständnis als Deckung für die vierzigtausend Dollar funktionierte, die ich am selben Tag mit Sonjas Hilfe zur Seite geschafft hatte. Oder unter Sonjas Leitung. Eigentlich war ich es ja, der Sonja geholfen hatte. Sie hatte diese Idee gehabt. Sie war diejenige, die weder meinem Vater noch der Polizei Bescheid gesagt hatte. Sie war eine Erwachsene, also war sie zumindest theoretisch für alles verantwortlich, was an dem Tag passiert war. Darauf konnte ich mich immer berufen, dachte ich, und diese Vorstellung überraschte und beschämte mich so sehr, dass mir der Schweiß ausbrach, mein

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