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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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möglich von uns ab und drehte uns den gekrümmten Rücken zu, das Kissen kindisch auf die Ohren gepresst.
    Geraldine, sagte mein Vater mit tiefer Stimme, Joe ist mit Bjerke hier. Bitte lass ihn dich nicht so sehen.
    Wie sehen? Ihre Stimme war wie das Johlen einer Krähe. Verrückt? Das kann er ab. Das sieht er nicht zum ersten Mal. Aber er wäre lieber bei seinen Freunden. Lass ihn gehen, Bazil. Dann rede ich mit euch.
    Geraldine, er weiß etwas. Er hat uns etwas erzählt.
    Meine Mutter rollte sich zu einem noch kleineren Ball zusammen.
    Mrs. Coutts, sagte Bjerke. Es tut mir sehr leid, Sie wieder zu belästigen. Ich würde den Fall viel lieber ohne Ihre Hilfe klären und Sie in Frieden lassen. Aber nach dem Stand der Dinge brauche ich zusätzliche Informationen von Ihnen. Wir haben gestern Abend von Joe erfahren, dass Sie an dem Tag des Verbrechens angerufen wurden. Joe meint sich zu erinnern, dass der Anruf Sie beunruhigt hat. Er berichtet, Sie hätten ihm einige Zeit darauf gesagt, dass sie eine Akte holen wollten, und seien ins Büro gefahren. Stimmt das?
    Von meiner Mutter kam keine Regung, kein Laut. Bjerke versuchte es noch einmal. Aber sie hatte mehr Geduld als wir. Sie drehte sich nicht nach uns um. Sie bewegte sich nicht. Eine Stunde lang, so kam es mir vor, saßen wir da, in einer Anspannung, die rasch in Enttäuschung und in Scham überging. Schließlichhob mein Vater die Hände und flüsterte: Das reicht. Wir zogen uns zurück und gingen die Treppe hinunter.
    Am Nachmittag desselben Tages stellte mein Vater einen Klapptisch im Schlafzimmer auf. Meine Mutter reagierte nicht. Dann gruppierte er die Klappstühle darum, und ich hörte, wie sie ihn wütend beschimpfte und ihn anflehte, sie wieder wegzunehmen. Er kam wieder ganz verschwitzt die Treppe herunter und sagte, ich solle jeden Abend um sechs zum Abendessen zu Hause sein, das wir hochtragen und zusammen einnehmen würden. Wie eine Familie, sagte er. Wir würden jetzt gleich damit beginnen. Ich atmete tief durch und trug die Tischdecke hoch. Mein Vater zog, wieder den Zorn meiner Mutter ignorierend, die Rollos hoch und öffnete sogar ein Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Wir brachten einen Salat und ein gebackenes Huhn die Treppe hoch, dazu Teller, Gläser, Besteck und einen Krug Limonade. Und morgen vielleicht einen Schluck Wein, dann ist es feierlicher, sagte mein Vater ohne echte Überzeugung. Er brachte einen Strauß Blumen aus dem Garten mit, den sie noch nicht gesehen hatte. Er stellte sie in eine kleine handbemalte Vase. Ich betrachtete den grünen Himmel auf dieser Vase, den Weidenbaum, das schlammige Wasser und die ungeschickt gemalten Steine. Diese ganze glasierte Szene sollte ich während der nächsten Abendessen mehr als gründlich kennenlernen, weil ich meine Mutter nicht ansehen mochte, wenn sie uns, auf Kissen abgestützt, so leblos anstarrte, als sei sie gerade erschossen worden, oder sich einrollte wie eine Mumie, die sich längst ins Jenseits verabschiedet hatte. Mein Vater versuchte jeden Abend, ein Gespräch in Gang zu halten, und wenn ich meine schmale Tagesration an Erlebnissen aufgebraucht hatte, gab er nicht auf, ein einsamer Ruderer auf dem endlosen See des Schweigens, oder vielleicht ging es sogar stromaufwärts. Ich bin fast sicher, dass ich ihn in dem kleinen schlammigen Flüsschen auf der Vase habe paddeln sehen. Eines Abends sagte er, nachdem er von den kleinenEreignissen des Tages berichtet hatte, er habe ein sehr interessantes Gespräch mit Father Travis Wozniak geführt, der Priester sei am Tag des Kennedy-Attentats auf der Dealey Plaza gewesen. Travis’ Vater hatte ihn in die Stadt mitgenommen, damit er den katholischen Präsidenten und seine elegante First Lady zu sehen bekam, deren Kostüm von genau dem gleichen gedämpften Rosa gewesen war wie ein Katzengaumen. Travis und sein Vater gingen die Houston Street entlang, überquerten die Elm Street und sagten sich, dass sie den Präsidenten von dem grasbewachsenen Hang kurz vor der Unterführung am besten sehen könnten. Sie hatten einen guten Blick und beobachteten erwartungsvoll die Straße. Kurz bevor die erste Motorradeskorte auftauchte, lief ein schwarz-weißer Vorstehhund mitten auf die Straße und wurde von seinem Besitzer schnell zurückgepfiffen. Travis musste später oft daran denken, dass, wenn nur dieser Hund ein wenig später ausgebrochen wäre, vielleicht in dem Moment, als die Motorräder kamen, wenn er dadurch die präzisen zeitlichen Abläufe

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