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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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Herz schneller schlug und sich mir die Kehle zuschnürte.
    Ich sprang auf. Ich muss mal!
    Hatte er eine Bierfahne?, hörte ich meinen Vater fragen.
    Nein, sagte Bjerke.
    Ich schloss mich im Badezimmer ein und hörte sie da draußen reden. Wenn es ein Fenster gegeben hätte, das leicht zu öffnen war, wäre ich vielleicht rausgeklettert und weggelaufen. Ich hielt meine Hände unter den Wasserhahn und murmelte vor mich hin und achtete darauf, nicht in den Spiegel zu sehen.
    Als ich wieder herauskam und zum Tisch zurückschlurfte, entdeckte ich neben meinem leeren Teller und dem Milchglas einen Zettel.
    Lies, sagte mein Vater.
    Ich setzte mich. Es war eine Vorladung, wenn auch nur auf Schmierpapier. Alkoholkonsum durch Minderjährige, stand da. Es war von Jugendarrest die Rede.
    Soll ich deine Freunde auch vorladen?
    Ich habe beide Sixpacks selbst getrunken. Ich stockte. So nach und nach.
    Wo sind denn die Dosen?, fragte Bjerke.
    Die sind weg. Plattgetreten. Weggeworfen. Es war Hamm’s.
    Bjerke schien die Marke nicht wichtig zu finden. Er machte sich nicht einmal eine Notiz.
    Die Gegend wurde von uns überwacht, sagte er. Wir wussten von der Kühlbox und den Anziehsachen, aber sie gehören nicht dem Angreifer. Bugger Pourier ist aus Minneapolis hergekommen, um seine sterbende Mutter zu besuchen. Seine Mutter hat ihn wie immer vor die Tür gesetzt, und er hat sich da unten häuslich eingerichtet. Wir haben gehofft, dass er kommen und sein Bier abholen würde. Aber ich fürchte, ihr wart schneller.
    Er klang distanziert, aber irgendwie verständnisvoll, und mir wurde schwindlig von dem plötzlichen Adrenalinabfall. Ich stand wieder auf und ging mit dem Zettel in der Hand rückwärts Richtung Tür.
    Es tut mir leid, Sir. Es war Hamm’s. Wir dachten …
    Ich ging weiter rückwärts bis zur Türschwelle, dann drehteich mich um. Bleischwer stieg ich die Treppe hoch. Ich ging an der Zimmertür meiner Mutter vorbei, ohne nach ihr zu sehen. Ich ging in mein eigenes Zimmer und schloss die Tür. Das Schlafzimmer meiner Eltern nahm die Vorderseite der oberen Etage ein und hatte drei Fenster, die normalerweise morgens die ersten Sonnenstrahlen hereinließen. Das Bad und die Nähstube waren zwei kleine Kammern rechts und links der Treppe. In meinem Schlafzimmer auf der Rückseite des Hauses fing sich das lange goldene Leuchten des Sonnenuntergangs, und besonders im Sommer war es tröstlich, im Bett zu liegen und zuzusehen, wie die strahlenden Schatten die Wände hochwanderten. Meine Wände hatten eine matte gelbe Farbe. Meine Mutter hatte sie gestrichen, als sie schwanger war, und erzählte immer, sie hätte sich die Farbe ausgesucht, weil sie sowohl zu einem Jungen als auch zu einem Mädchen gepasst hätte, aber als sie halb fertig war, habe sie gewusst, dass ich ein Junge werden würde. Sie hatte es gewusst, weil immer, wenn sie in dem Zimmer arbeitete, ein Kranich am Fenster vorbeiflog, das Doodem meines Vaters, wie gesagt. Sie selbst war vom Schildkröten-Clan. Mein Vater behauptete, sie hätte bei ihrem ersten Date im Ruderboot extra dafür gesorgt, dass Schnappschildkröten anbissen, damit er vor lauter Angst sofort um ihre Hand anhielt. Erst später erfuhr ich, dass sie ausgerechnet die Schildkröte fingen, in deren Panzer der erste Freund meiner Mutter ihre Initialen geritzt hatte. Der Junge war gestorben, hatte Clemence erzählt. Die Botschaft dieser Schildkröte war ihr Hinweis auf die Sterblichkeit. Darauf, dass mein Vater angesichts des Todes handeln musste. Während das Licht langsam die Wände entlangkroch und die gelbe Farbe in einen tieferen Bronzeton verwandelte, dachte ich an die grausige Puppe und das Geld. Ich dachte an Sonjas rechte und linke Brust, die sich meinen eingehenden heimlichen Betrachtungen zufolge ein wenig voneinander unterschieden, und fragte mich, ob ich je herausfinden würde, wie genau. Ich dachte an meinen Vater, wie er dort unten in der heraufquellendenDämmerung saß, und an meine Mutter in ihrem schwarzen Zimmer mit den Rollos vor den Fenstern zum Schutz vor dem morgigen Sonnenaufgang. Über dem Reservat lag jene Stille, die sich im Sommer zwischen Dämmerung und Dunkelheit herabsenkt, bis die Pick-ups wieder zwischen den Bars und der Disko und dem Getränkeladen mit dem Drive-In-Fenster kreisen. Alles klang gedämpft – ein Pferd wieherte hinter den Bäumen. Ein kurzes, wütendes Brüllen war zu hören, als ein Kind ins Haus geschleift wurde. Dann das ferne Brummen eines Motors, der von

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