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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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hereinkam. Ich blieb in der Tür stehen. Mein Vater kam gerade mit zwei Tassen Kaffee zum Tisch zurück. Ich erkannte, dass ich eine Wolke der Konzentration zwischen den beiden zerstoben hatte. Mir wurden die Knie weich vor Erleichterung, dass Bjerkes Besuch nichts mit mir zu tun hatte.
    Dass Bjerke überhaupt hier war, ging auf den Fall Ex parte Crow Dog zurück und dann auf den Major Crimes Act aus dem Jahr 1885. Damals hatte sich die US-Regierung zum ersten Mal in Stammesurteile über Entschädigungen und Strafen eingemischt. Die Gründe für Bjerkes Gegenwart blieben auch 1953 erhalten, in jenem schwarzen Jahr, als der Kongress nicht nur beschloss, seine Termination -Politik an uns auszuprobieren, sondern auch die Public Law 280 in Kraft setzte, die einzelnen Staaten die strafrechtliche und zivilrechtliche Gerichtsbarkeit über die Reservate innerhalb ihrer Staatsgrenzen zuerkannte. Wenn es ein Gesetz gibt, das man bis heute zugunsten der Indianer außer Kraft setzen oder anpassen könnte, wäre es diese Public Law 280. Aber in unserem speziellen Reservat war Bjerkes Gegenwart Ausdruck unserer zahnlosen Souveränität. Wenn ihr bis hierher gelesen habt, wisst ihr, dass ich diese Geschichte mit einigem zeitlichen Abstand zu jenem Sommer 1988 schreibe, als meine Mutter sich weigerte, die Treppe herunterzukommen, und sich weigerte, mit Soren Bjerke zu sprechen. Sie hatte mich geschlagen und meinen Vater verängstigt. Sie war weggedriftet, und wir wussten nicht, wie wir sie wieder zurückholen sollten. Ich habe einmal gelesen, dass manche Erinnerungen, die in einem besonders sensiblen Alter in Stresssituationen gebildet werden, im Laufe der Zeit nicht verblassen, sondern wieder- und wiederkehren und sich mit jedem Mal noch tiefer ins Gedächtnis graben. Und dennoch war, wenn ich ganz ehrlich bin, als ich in jenem Moment im Jahr 1988 meinen Vater und Soren Bjerke an unserem Küchentisch sitzen sah, mein Gehirn immer noch vollerGeldscheine wie der Kopf der Puppe mit dem maschinengefertigten Mutwillen im Blick.
    Ich ging an Bjerke vorbei ins Wohnzimmer, wollte dann aber nicht die Treppe hoch. Ich wollte nicht an der geschlossenen Zimmertür meiner Mutter vorbei. Ich wollte nicht wissen, dass sie dort drinnen im Bett lag, dass sie dort atmete und mit ihrem unaufhörlichen Leiden meine ganze Freude über das Geld verdarb. Weil ich aber nicht an ihrer Tür vorbeimochte, machte ich kehrt und ging in die Küche zurück. Ich hatte Hunger. Ich blieb im Türrahmen stehen und wartete unruhig, bis die Männer ihr Gespräch unterbrachen.
    Vielleicht magst du ein Glas Milch?, sagte mein Vater. Nimm dir ein Glas Milch und setz dich. Deine Tante hat uns einen Kuchen gemacht. Er wies auf einen kleinen, runden, säuberlich glasierten Kuchen auf dem Küchentresen. Ich schnitt ordentlich vier Stücke ab, setzte sie auf Untertassen und legte je eine Kuchengabel dazu. Drei der Stücke brachte ich zum Tisch und goss mir ein Glas Milch ein.
    Das bringe ich später zu deiner Mutter rauf, sagte mein Vater mit einem Kopfnicken zu dem letzten Stück Kuchen hin.
    Also setzte ich mich zu den Männern an den Tisch. Und ich begriff, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Jetzt, wo ich so dicht neben ihnen saß, würde die Wahrheit ihren Sog auf mich ausüben. Nicht die Benzinkanister-Wahrheit, obwohl ich mit der nervös herausplatzte, als ich das Gefühl bekam, dass sie auf irgendetwas von mir warteten. Ich fragte, ob der Kanister ein Beweismittel sei.
    Ja, sagte Bjerke. Wir werden deine Aussage aufnehmen. Alles zu seiner Zeit. Wenn der Fall vor Gericht geht.
    Ja, Sir. Oder – ich nahm meinen Mut zusammen – vielleicht sollten wir das jetzt machen. Bevor ich was vergesse.
    Ist er so vergesslich?, fragte Bjerke.
    Nein, sagte mein Vater.
    Trotzdem sprach ich kurz darauf in ein kleines Aufnahmegerät und unterschrieb ein Formular. Danach folgten noch ein paar höfliche, wohlwollende Fragen dazu, was ich den Sommer über vorhatte und wie groß ich schon war und welche Sportart ich in der Junior Highschool wählen wollte. Wrestling, sagte ich. Sie gaben sich alle Mühe, nicht skeptisch auszusehen. Oder vielleicht Crosslauf? Das schien glaubhafter zu sein. Ich spürte, dass die beiden Männer froh waren, mich dazuhaben, und dass sie sich gleichzeitig abmühten, ein großes verwirrtes Schweigen zwischen sich abzuwehren, das wahrscheinlich, wenn ich jetzt an den Tag und die Stunde zurückdenke, daher rührte, dass sie in eine Sackgasse geraten waren.

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