Das Haus des Windes
garantiert täuschen lassen würden. Ich ließ mich schlaff und schwer in die Polster sinken. Sie redeten von golfballgroßen Hagelkörnern, glattem, rundem Hagel in Erbsengröße und Hagel, der die Dachschindeln durchlöcherte wieLuftgewehrmunition. Die Couch war breit, die Polster waren warm. Eine Stunde später wachte ich wieder auf. Mom hatte sich auf die Kante gesetzt, rief leise meinen Namen und strich mir über den Unterschenkel. Wie es manchmal so ist, wenn man aus einem unerwarteten Schlaf erwacht, wusste ich nicht gleich, wo ich war. Ich hielt die Augen geschlossen. Die Stimme meiner Mutter und die kindlich vertraute Berührung ihrer Hand an meinem Fußgelenk, mit der sie mich so oft geweckt hatte, fluteten mich mit einem Gefühl des Friedens. Ich erlaubte meinem Bewusstsein, in ein noch jüngeres Versteck hinabzusinken, wo mir nichts etwas anhaben konnte.
Als ich schließlich doch aufwachte, war es dunkel und das Haus ganz still. Pearl hatte sich ein Stück entfernt auf dem ovalen Läufer zusammengerollt und hechelte im Schlaf. Jemand hatte mir eine grobmaschige Häkeldecke übergeworfen. Ich hatte sie weggestrampelt, und ich fror. Ich hatte das Abendessen verpasst und war hungrig, also wickelte ich mich in die Decke und tappte in die Küche. Pearl stand auf und folgte mir. Auf dem Tisch glänzte ein folienbespannter Teller mit Essen. Es war wieder Vollmond, und die Küche war von einer bleichen Energie erfüllt. Jetzt, da ich ein Stück älter bin, verstehe ich, was in der Küche in jener Nacht mit mir passierte und warum es ausgerechnet dann geschah. Ich hatte im Schlaf meine Deckung fallen lassen. Die Gedanken, die meine Gedanken beschützten, waren weg; übrig waren meine echten Gedanken. Mein Wissen darüber, was ich vorhatte. Mit diesem Wissen kam die Angst. Ich hatte noch nie wirklich Angst gehabt, nicht um mich selbst jedenfalls. Um meine Mutter und meinen Vater, ja, aber die Angst war unmittelbar und einend gewesen, nicht geheim. Und meine schlimmsten Verlustängste hatten sich nicht bewahrheitet. Meine Eltern waren versehrt, aber sie schliefen da oben in ihrem gemeinsamen Zimmer, im gemeinsamen Bett. Ich wusste allerdings, dass dieser friedliche Zustand flüchtig war. Lark würde wiederkommen.Solange sie nicht Maylas Leiche fanden oder Mayla nicht lebend auftauchte und ihn wegen Kindesentführung verklagte, war er frei.
Ich musste tun, was ich tun musste. Diese Tat stand mir bevor. Im unheimlichen Licht überwältigte mich ein Gefühl des Grauens so sehr, dass mir Tränen in die Augen schossen und ein ersticktes Geräusch, ein Schluchzen vielleicht, ein reißender Schmerz aus meiner Brust hervorbrach. Ich wollte dieses Geräusch nicht herauslassen. Ich wollte diesem Strudel der Gefühle keine Stimme geben. Aber ich war nackt und winzig seiner Übermacht ausgeliefert. Mir blieb keine Wahl. Ich dämpfte die Geräusche, die so abstoßend, so fremd aus mir herausdrangen, dass nur ich sie hören konnte. Ich ließ mich auf den Boden sinken, ließ die Angst mich ganz bedecken und versuchte nur weiterzuatmen, als sie mich beutelte wie ein Hund eine Ratte.
Eine halbe Stunde lag ich so da, dann ließ sie nach. Ich hatte nicht gewusst, ob das je passieren würde. Ich hatte meinen ganzen Körper so fest in sich zusammengepresst, dass es schmerzte, locker zu lassen. Mit tat alles weh, als ich mich mühsam, wie ein arthritischer alter Mann vom Boden aufrappelte. Ich schlurfte langsam die Treppe hoch und ins Bett. Pearl war mir nicht von der Seite gewichen. Sie hatte sich dicht neben mich gekauert. Ich behielt sie auch jetzt bei mir. Während ich in einen neuen, dunkleren Schlaf sank, begriff ich, dass ich etwas gelernt hatte. Ich hatte die Angst kennengelernt, und ich wusste, dass sie nicht von Dauer war. So stark sie auch sein mochte, würde sich ihr Griff doch wieder lösen. Sie ging vorbei.
* * *
Die Bananen konnte ich kein zweites Mal einsetzen, also beschloss ich, Linda in der Mittagspause abzupassen. Ich wusste, dass sie sich meistens Essen von zu Hause mitbrachte, sich aber einmal die Woche das gönnte, was Frauen im Mighty’s immer wählten – das Suppen- und Salatbuffet. Ich lief jeden Tag amFenster vorbei oder ging rein und holte mir eine Traubenlimo. Am dritten Tag sah ich Linda wie eine glückliche kleine Lokomotive auf das Café zuwalzen. Sie winkte Bugger zu, der auf dem verfärbten kleinen Rasenstück zwischen den beiden Gebäuden saß. Dann blieb sie stehen und gab ihm eine Zigarette.
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