Das Haus des Windes
der warme Regen fällt, sagte mein Vater, und der Flieder blüht. Dann kommt sie wieder runter. Sie liebt den Geruch von Flieder. Ein altes Gebüsch, das noch der Farmverwalter unseres Reservats angelegt hatte, blühte in der Südecke des Gartens. Meine Mutter verpasste seine Pracht. Die hauchzarten Gesichter ihrer Stiefmütterchen erstrahlten, und dann blühten die wilden Prärierosen in den Gräben in ihrem unschuldigen hellen Pink. Auch die verpasste sie. Seit ich denken konnte, hatte Mom jedes Jahr Blumen für ihre Beete aus Samen gezogen. Sie hatte schon im April ihre Milchkartontöpfe auf den Küchentresen und an jedes südliche Fenster gestellt – aber die Stiefmütterchen waren die Einzigen, die ihre Auswilderung erleben durften. Wir vergaßen nach dieser ersten Woche, die anderen zu versorgen. Die dürren Pflänzchen wurden brüchig wie Kartoffelchips. Dad hatte die Setzlinge und die Erde im Garten entsorgt und die Milchkartons mit dem restlichen Müll verbrannt, hatte die Spuren unserer Nachlässigkeit beseitigt. Nicht, dass es Mom gekümmert hätte.
Nachdem ich meinem Vater an jenem Morgen von dem Rundhaus erzählt hatte, schob er seinen Stuhl weg, stand auf und kehrte mir den Rücken zu. Als er sich mir wieder zuwandte, war sein Gesicht ganz entspannt, und er sagte, wir sollten später darüber reden. Wir würden für meine Mutter den Garten bepflanzen. Jetzt gleich. Er hatte aus einem heruntergekommenen Gewächshaus zwanzig Meilen außerhalb des Reservats teure Pflanzen besorgt. Kartons und Plastikkisten standen im Schattenbereit. Rote, lila, rosa und gestreifte Petunien waren dabei. Gelb-orangefarbene Tagetes. Es gab blaue Vergissmeinnicht, Margeriten, Lavendel, Ringelblumen und Fackellilien. Dad gab mir Anweisungen. Ich pflanzte die Blumen eine nach der anderen in die Beete. Sie hatte einen weiß gestrichenen, mit Erde gefüllten Traktorreifen und rechteckige Hochbeete neben der Vordertreppe. Ich setzte Lobelien und Schleifenblumen neben die Stiefmütterchen entlang der Auffahrt. Die dünnen Pflanzschilder bewahrte ich alle für meine Mutter auf. Hin und wieder dachte ich während der Arbeit an die Akten. Den Geist. Die vielen verwirrenden Einzelheiten. Das Rundhaus. Allmählich graute mir vor der Aussprache mit meinem Vater. Und wieder die Akten. Und der quälende Gedanke an den Priester, dann die Larks, dann wieder den Priester. Hinter dem Haus war ihr Gemüsegarten, auf dem noch das Stroh lag. Als ich mit den Blumen fertig war, ging ich nach hinten durch, um die Plastiktöpfe ineinanderzustapeln und die Gartengeräte wegzuräumen.
Lass die mal hier. Wir graben noch den Gemüsegarten um, sagte Dad.
Wozu?
Er drückte mir nur schweigend die Schaufel in die Hand, die ich weggelegt hatte, und zeigte in eine Ecke des Gartens, wo Zwiebeln und Tomatenpflanzen und zusammengebundene Buschbohnen und Süßkartoffelsamen warteten. Wir arbeiteten noch eine Stunde lang zusammen weiter. Als wir mit der Hälfte der Fläche fertig waren, wurde es Zeit zum Mittagessen. Er fuhr los, um die restlichen Pflanzen zu besorgen. Ich ging ins Haus. Ich sollte auf meine Mutter aufpassen. Ich sah mich in der Küche um. Auf dem Tresen stand eine Dose Kochschinken mit einem Metallschlüssel dran, mit dem man den Deckel abrollen konnte. Ich machte mir ein Sandwich, aß es auf und trank zwei Glas Wasser. Da stand auch eine Packung Kekse mit Marmeladenfüllung. Ich aß eine Handvoll, dann machte ich noch einSandwich und legte es mit zwei Keksen zur Dekoration auf einen Teller. Ich ging mit dem Essen und einem Glas Wasser die Treppe hoch. Pearl hatte sich angewöhnt, auf das Essen zu lauern, das wir vor die Schlafzimmertür stellten, und es runterzuschlingen, also brachten wir es jetzt immer ins Zimmer. Ich stellte den Teller auf dem Wasserglas ab und klopfte an die Tür. Keine Antwort. Ich klopfte lauter.
Komm rein, sagte meine Mutter. Ich ging rein. Es war jetzt über eine Woche vergangen, seit sie die Treppe hochgegangen war, und das Schlafzimmer roch muffig. Die Luft war schwer von ihrem Atem, als hätte sie sämtlichen Sauerstoff verbraucht. Die Rollos waren heruntergelassen. Ich wollte das Sandwich loswerden und verschwinden. Aber sie sagte, ich sollte mich setzen.
Ich stellte das Sandwich und das Wasser auf den quadratischen Nachttisch, von dem ich schon so viele angetrocknete Brote, halbvolle Gläser und abgekühlte Suppenschüsseln abgeräumt hatte. Falls sie je etwas gegessen hatte, hatte ich nichts davon bemerkt.
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