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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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Haar –, aber ich hätte nicht sagen können, ob dieses Wesen männlich oder weiblich war, nicht einmal, ob es lebendig oder tot war oder irgendetwas dazwischen. Erschrocken war ich eigentlich nicht, aber ich hatte das deutliche Gefühl, was ich da sah, sei nicht real. Dabei war es weder menschlich noch ganz und gar unmenschlich. Das Wesen richtete seinen Blick auf mich, und mein Herz tat einen Satz. Ich sah das Gesicht wie in Nahaufnahme. Da war ein Lichtschein hinter seinem Kopf. Seine Lippen bewegten sich, aber ich konnte die Worte nicht verstehen, außer dass es immer wieder dieselben Worte zu wiederholen schien. Es zog seine Hände zurück, und die Äste schlossensich wieder. Das Ding war weg. Pearl drehte sich drei Mal im Kreis und machte es sich wieder auf dem Teppich bequem. Ich schlief ein, sobald mein Kopf das Kissen berührte, vielleicht von der mentalen Anstrengung erschöpft, diesen Besucher in mein Bewusstsein eingelassen zu haben.
    Mein Vater hatte eine hässliche neue Uhr gekauft, und es tickte wieder in der stillen Küche. Ich war früher wach als er. Ich schmierte mir zwei Scheiben Toast und aß sie im Stehen, schmierte dann noch zwei und legte sie auf einen Teller. Das Eierkochen hatte ich noch nicht gelernt, und auch vom Pfannkuchenteiganrühren verstand ich noch nichts. Das sollte erst später kommen, nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, mein Leben abseits meiner Eltern zu führen. Nachdem ich den Job an der Tanke angefangen hatte. Mein Vater kam rein, als ich noch vor meinen Toastbroten saß. Er murmelte etwas und bemerkte nicht, dass ich nicht antwortete. Er hatte noch keinen Kaffee gehabt. Bald würde er zum Leben erwachen. Er kochte ihn im alten Stil, löffelte das Pulver in eine schwarze, weiß gesprenkelte emaillierte Blechkanne und schlug ein Ei darüber, um den Bodensatz unten festzuhalten. Er legte mir kurz die Hand auf die Schulter. Ich schüttelte sie ab. Er trug seinen alten blauen Wollhausmantel mit dem albernen goldenen Wappen. Er setzte sich, wartete auf den Kaffee und fragte mich, ob ich gut geschlafen hätte.
    Wo?, fragte ich. Wo, glaubst du, habe ich geschlafen?
    Auf dem Sofa, sagte er überrascht. Du hast dich um Kopf und Kragen geschnarcht. Ich habe dich zugedeckt.
    Ach, sagte ich.
    Die Kaffeekanne fauchte, und er stand auf, drehte die Flamme kleiner und goss sich seine Tasse voll.
    Ich glaube, ich habe gestern Nacht einen Geist gesehen, sagte ich zu ihm.
    Er setzte sich mir gegenüber, und ich sah ihm in die Augen.Ich rechnete damit, dass er das Ganze aufklären und mir genau sagen würde, wie und warum ich mich getäuscht hatte. Ich dachte, er würde, wie man es von Erwachsenen erwartet, sagen, dass es keine Geister gab. Aber er sah mich nur an mit seinen geschwollenen Augensäcken und den dunklen Falten, die nicht mehr weggehen wollten. Mir wurde klar, dass er nicht gut geschlafen hatte, wenn überhaupt.
    Der Geist stand unten im Garten, sagte ich. Er sah fast so aus wie ein echter Mensch.
    Ja, das kommt vor, sagte mein Vater.
    Er stand auf und schenkte noch eine Tasse Kaffee für meine Mutter ein. Als er die Küche verließ, überkam mich eine Angst, die sich schnell in Wut verwandelte. Ich starrte ihm nach. Entweder hatte er mich absichtlich nicht beruhigt, indem er mir widersprach, oder er hatte mir überhaupt nicht zugehört. Und hatte er mich am Abend wirklich zugedeckt? Ich konnte mich an keine Decke erinnern. Als er zurückkam, sah ich ihn herausfordernd an.
    Ein Geist. Ich habe Geist gesagt. Was soll das heißen: Das kommt vor?
    Er schenkte sich Kaffee nach. Setzte sich wieder. Weigerte sich wie üblich, sich von meiner Wut stören zu lassen.
    Joe, sagte er. Ich habe auf einem Friedhof gearbeitet.
    Na und?
    Und da kam das schon mal vor. Da gab es Geister. Die kamen manchmal da vorbei und sahen aus wie Menschen. Manchmal erkannte ich einen wieder, den ich begraben hatte, aber meistens waren sie ihrem früheren Selbst nicht besonders ähnlich. Mein ehemaliger Boss hatte mir erklärt, woran man sie erkennt. Sie wirkten blasser als die Lebenden und irgendwie teilnahmslos, aber auch nervös. Sie wanderten da rum, von einem Grab zum nächsten, und starrten die Bäume und die Grabsteine an, bis sie ihr eigenes gefunden hatten. Dann standen sie da, ein bisschen verwirrt vielleicht. Ich habe sie nie angesprochen.
    Aber woher wusstest du, dass es Geister waren?
    Ach, das weiß man eben. Hast du nicht auch gewusst, dass du einen Geist gesehen hast?
    Ich sagte ja. Ich war

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