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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
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vorüberging, aber er hätte mich so oder so nicht bemerkt.
    Mein Vater starrte so konzentriert nach oben, als er behutsam Schritt für Schritt die Treppe hochstieg, dass ich den Kopf reckte, um herauszukriegen, was er da sah – vielleicht einen Lichtschein aus dem Schlafzimmer. Ich beobachtete ihn, wie er bis zur Schlafzimmertür schlurfte, die im Dunkeln pechschwarz aussah. Er hielt inne, dann ging er weiter. Ins Badezimmer, dachte ich. Aber nein. Er öffnete die Tür zu der Kammer, in der meine Mutter ihre Nähsachen hatte. Dort gab es ein schmales Klappbett, aber nur für Gäste. Von uns hatte noch nie jemand da geschlafen. Selbst wenn meine Eltern Schnupfen oder Grippe hatten, schliefen sie im selben Bett. Sie versuchten sich nie vor den Krankheiten des anderen zu schützen.
    Die Tür der Nähstube klappte zu. Ich hörte meinen Vater herumrumoren und hoffte, dass er wieder herauskommen würde. Dass er nur etwas holen wollte. Aber dann hörte ich das Bett quietschen. Und dann Stille. Er lag da drin mit der Nähmaschine, mit den Kartons voller ordentlich gefalteter Stoffe, den von ihm selbst an die Wand genagelten Hakenbrettern mit Garnin unzähligen Farben, mit den verschieden großen Scheren, dem sorgfältig aufgerollten Maßband und dem herzförmigen Nadelkissen.
    Ich ging hoch in mein Zimmer und zog mich schläfrig aus, aber sobald ich im Bett lag, begriff ich, dass mein Vater nicht einmal nachgesehen hatte, ob ich zu Hause war. Er hatte mich komplett vergessen. Ich wälzte mich entrüstet hin und her. Wieder und wieder ließ ich die Ereignisse des Tages vor mir ablaufen. So viele trügerische Funde und Erkenntnisse. Ich ging sie alle noch einmal durch. Dann dachte ich weiter zurück, an den Abend mit dem verunglückten Auflauf. An den quälenden Druck zurückgehaltener Gefühle, als meine Mutter die Treppe hochschwebte, an die stumme Angst meines Vaters, als wir im Lampenlicht zusammen lasen. Mit meinem ganzen Wesen wünschte ich mich in die Zeit zurück, bevor das alles passiert war. Ich wollte wieder in unsere wohlriechende Küche kommen und mich an Mutters Tisch setzen, bevor sie mich geschlagen und bevor mein Vater mich vergessen hatte. Ich wollte meine Mutter lachen hören, bis sie grunzte. Ich wollte die Zeit zurückdrehen und sie davon abhalten, an jenem Sonntag wegen der Akten ins Büro zu fahren. Ich musste immer wieder daran denken, wie leicht es gewesen wäre mitzufahren. Oder ihr anzubieten, dass ich die Sache erledigen könnte. Ich war in jener Ackerfurche der Reue angelangt – mit der Saat der Verbitterung bepflanzt –, die jungen Männern zu eigen ist.
    Als ich bis zur Verbitterung vorgedrungen war, richtete ich sie auf alles, was mir einfiel, unter anderem auf die Akte, die meine Mutter hatte holen wollen. Diese Akte. Irgendetwas war damit. Niemand hatte sie je erwähnt. Warum war sie eine Akte holen gefahren? Was war da drin? Ich fiel wieder in schwache Zerknirschung zurück. Aber ich wollte sie fragen. Ich wollte mehr darüber herausfinden, was sie an einem Sonntagnachmittag ins Büro gezogen hatte. Es hatte, jetzt fiel es mir wieder ein, jemand angerufen.Jemand hatte angerufen, und ich hatte gehört, wie sie ranging. Und dann war sie unruhig auf und ab gegangen, hatte Sachen weggeräumt und mit Geschirr geklappert, nur dass ich es bisher nicht mit dem Anruf in Verbindung gebracht hatte.
    Dann hatte sie die Akte erwähnt und war losgefahren.
    Irgendwann verlangsamte sich mein Gehirn, gingen meine Gedanken in Bilder über. Ich war fast eingeschlafen, als ich Pearl zu meinem Fenster gehen hörte. Ihre Krallen klickten über den nackten Holzfußboden. Ich drehte mich zum Fenster und öffnete die Augen. Pearl stand erstarrt, die Ohren nach vorn gedreht, die Aufmerksamkeit auf irgendetwas vor dem Fenster gerichtet. Einen Waschbären, stellte ich mir vor, oder ein Stinktier. Aber die geduldige Vertrautheit, mit der sie hinaussah, ohne zu bellen, weckte mich vollends auf. Ich schlich zu dem hohen Fenster, dessen Fensterbrett auf Kniehöhe war. Das Mondlicht brachte alle Umrisse zum Leuchten, verwandelte Schatten in Andeutungen. Ich kniete mich neben Pearl, und da sah ich die Gestalt.
    Sie stand in dem Gewirr von Ästen am Rande des Gartens. Während wir zusahen, schob sie die Äste auseinander und schaute zu meinem Fenster hoch. Ich konnte ihre Gesichtszüge klar erkennen – den zerfurchten, etwas missmutigen Ausdruck, die tiefliegenden Augen unter geraden Brauen, das dichte, silberne

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