Das Haus in den Dünen
hätte. Obwohl er ebenso viele Gründe hätte wie ich, es diesem Kerl heimzuzahlen. Aber das wissen Sie doch bereits. Sie haben sich ja sicherlich gut auf Ihren Besuch vorbereitet.«
Trevisan schüttelte den Kopf. »Ich kam her, um mir ein Bild vom Ermordeten machen zu können. Ich hatte keine Hintergedanken, das können Sie mir ruhig glauben.«
Miriam Kleese stellte ein Glas Wasser vor Trevisan auf den Tisch, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.
»Dann will ich Ihnen mal meinen Stiefbruder beschreiben, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben«, antwortete sie schnippisch. »Ich sagte bereits, er war ein Teufel. Meine Mutter heiratete seinen Vater, als Hans gerade mal fünf war. Sein Vater brachte ihn mit in die Ehe. Ich wurde kaum ein Jahr später geboren.«
»Was war mit seiner leiblichen Mutter?«, frage Trevisan.
»Sie ist ins Wasser gegangen, da war er vier«, antwortete Miriam Kleese bissig. »Was soll man mit zwei solchen Halunken zu Hause schon anderes machen. Sein Vater war nämlich keinen Deut besser als er.«
»Lebt sein Vater noch?«
Miriam Kleese lächelte kalt. »Hat sich den Kragen abgesoffen. War kaum zwei Jahre mit meiner Mutter zusammen, da ließ er den Balg zurück und türmte. Verschwand einfach, zahlte nichts und blieb wie vom Erdboden verschluckt. Ich war damals erst ein paar Jahre alt. Wir erfuhren erst durch die Polizei, dass er sich nach Hamburg fortgemacht hatte und dort in einem Wohnheim für Penner gestorben ist. Und da meinten die Behörden noch, meine Mutter sollte für die Beerdigung aufkommen. Denen haben wir was gepfiffen.«
»Und Hans Kropp?«
»Meine Mutter kümmerte sich um ihn, aber es gab nur Probleme«, fuhr Miriam Kleese fort. »Er klaute, rauchte schon als Vierzehnjähriger und soff heimlich. Einmal habe ich ihn beim Biertrinken erwischt, da schlug er mich grün und blau und drohte, mir den Hals umzudrehen, wenn ich ihn bei Mutter verpfeife. Aber sie wurde sowieso nicht mit ihm fertig. Wir wohnten damals in Norden. Mutter schaltete das Jugendamt ein, aber von dort hieß es immer nur, dass sie die Verantwortung für ihn trägt, weil sie sich mit seinem Vater eingelassen hatte.«
»Hatte sie ihn denn adoptiert?«
»Adoptiert, danach hat doch keiner gefragt«, erwiderte Frau Kleese bissig. »Einmal haben die vom Jugendamt ihn auf Bitten meiner Mutter für sechs Wochen zu einer Ferienfreizeit für Schwererziehbare nach Spiekeroog mitgenommen, aber nach kaum vier Wochen schickten sie ihn wieder zurück. Er störe den Ablauf und terrorisiere die anderen Jugendlichen, sagten die Leute vom Jugendamt. Naja, wenigstens haben sie meiner Mutter dann ein paar Kröten dafür bezahlt, dass sie sich weiter um ihn kümmert.«
Trevisan blickte aus dem Fenster. Eine dunkle Wolke schob sich von Westen über den Himmel voran. Sollten die Wetterfrösche recht behalten und es doch noch Gewitter geben?
»Wir zogen dann nach Dornum. Ich war froh, als er die Schule abgeschlossen hatte und in Norden eine Ausbildung als Kraftfahrzeugmechaniker begann. Zumindest die Woche über war er weg und wohnte in einem kleinen Zimmer bei einer Bekannten von Mutter. Aber für Mutter war es zu spät, sie hatte keine Nerven mehr. Sie starb, als ich zwanzig war. Er war daran schuld.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Trevisan.
»Er hat ihr die letzten Nerven geraubt und war durch und durch schlecht. Er wurde schon als schlechter Mensch geboren.«
»Niemand wird als schlechter Mensch geboren«, widersprach Trevisan. »Meist ist es das Umfeld oder widrige Umstände, die jemanden in seiner normalen Entwicklung aus der Bahn werfen.«
»Hört, hört«, witzelte Miriam Kleese. »Kein Wunder, dass es tagtäglich schlimmer wird mit Mord und Totschlag, wenn schon die Ordnungshüter nach Entschuldigungen für diese missratenen Kerle suchen. Aber ich weiß, wovon ich spreche. Der alte Kropp war abgrundtief schlecht und sein Sprössling war keinen Deut besser.«
»Haben Sie ihn in der letzten Zeit mal gesehen?«, unterbrach Trevisan ihren Vortrag über Gut und Böse.
»Ich sagte schon, es ist etwa zwei Jahren her.«
»Wo trafen Sie ihn?«
»Er kam hierher.«
Trevisan spürte, dass die Frau nicht darüber sprechen wollte. Er neigte den Kopf und schaute sie fragend an. »Was ist geschehen?«
Miriam Kleese zögerte.
»Jetzt haben Sie mir bereits den gesamten Lebenslauf Ihres Stiefbruders erzählt, nun können Sie mir ruhig noch den Rest erzählen.«
Miriam Kleese fuhr sich durch die Haare. »Sie
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