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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Besuchszeit saßen die Verwandten an den langen Reihen von Krankenhausbetten und flüsterten mit den Patienten, als seien sie in der Kirche. Hannah sah blass aus, doch immerhin, so dachte Ruby, ein wenig normaler . Sie trug das neue Nachthemd, das Ruby ihr gekauft hatte, und ihr Haar war gewaschen, gekämmt und mit einer Spange nach hinten gesteckt.
    Ruby gab ihrer Cousine einen Kuss, überreichte ihr den Strauß Schneeglöckchen, den sie für sie gepflückt hatte, und fragte sie, wie es ihr gehe. Schließlich konnte sie nicht einfach sagen: Ich glaube, deine Mutter hat meinen Vater umgebracht – vielleicht wusste Hannah nicht einmal davon. Aber Ruby musste darauf zu sprechen kommen.
    Â»Ich habe den Soldatenmantel meines Vaters im Schrank deiner Mutter gefunden«, sagte sie, und Hannah wurde ganz still.
    Â»Ich glaube, dass mein Vater nach Nineveh gefahren ist und dass Tante Maude mich angelogen hat, als sie sagte, er sei nur zweimal dort gewesen. Ich glaube, er ist Jahre später noch einmal dorthin gefahren, kurz bevor er verschwand.«
    Ein Flüstern: »Bitte nicht.«
    Â»Ich bin nicht böse auf dich, Hannah. Ich gebe nicht dir die Schuld. Deine Mutter hat dich geschlagen, nicht wahr? Und du konntest es nicht verhindern, weil du nur ein Kind warst. Und wenn du nicht verhindern konntest, dass sie dir etwas antat, wie hättest du da verhindern sollen, dass sie einem anderen etwas antat?«
    Hannah schloss die Augen, ihre Hände umklammerten die Bettdecke.
    Ruby zwang sich weiterzusprechen. »Ich glaube, Folgendes ist geschehen: Meine Mutter war krank, und mein Vater hatte nicht genug Geld, um den Arzt zu bezahlen. Er dachte wohl, Maude würde ihrer kranken Schwester helfen. Und als sie sich weigerte, hat er die Beherrschung verloren. Mein Vater war ziemlich jähzornig, daran erinnere ich mich noch. Vielleicht hat er Maude angeschrien und ihr gedroht, oder sie dachte, er würde ihr etwas stehlen. Vielleicht hat er sie an ihren eigenen Ehemann erinnert, und sie meinte, er würde ihr etwas antun. Also hat sie ihn erschossen. Glaubst du«, fragte Ruby sehr behutsam, »so könnte es gewesen sein, Hannah?«
    Schweigen. Tränen liefen Hannah die Wangen herab.
    Â»Tante Maude besaß ein Gewehr«, fuhr Ruby fort. »Und vorne an der Brust des Mantels ist ein Loch, das wie ein Einschussloch aussieht. Es muss vor Jahren passiert sein, als du noch ein kleines Mädchen warst. Aber ich möchte gern wissen, ob du vielleicht irgendetwas gesehen hast. Oder gehört.«
    Hannah starrte schweigend vor sich hin, das Gesicht tränennass. Eine Krankenpflegerin kam mit einem Teewagen die Reihe entlang auf sie zu.
    Und plötzlich sagte Hannah: »Am nächsten Tag wurde ein neues Grab ausgehoben. Aber es war gar keiner von den Hunden gestorben.«

    Sie stellten rund um den Friedhof der Haustiere Abschirmungen auf, ehe sie zu graben begannen. Irgendwann am Nachmittag überbrachte eine Polizistin Ruby die Nachricht, dass sie in einem der Gräber menschliche Überreste gefunden hatten. Kurz darauf entdeckte man die sterblichen Überreste einer zweiten Leiche. Ruby sah die Polizisten vor sich, wie sie Knochen sortierten: Die sind von einem Hund und die hier von einem Menschen.
    Ein Leichenwagen kam und holte die menschlichen Überreste ab. Ruby stand an der Haustür und sah dem Wagen nach, als er davonfuhr. Dann befragte der Detective sie noch einmal. Jetzt legte er eine ganz andere Haltung an den Tag als bei ihrem ersten Gespräch kurz nach Rubys Besuch bei Hannah im Krankenhaus. An jenem Tag hatte er ihr mit skeptischem Blick nicht weniger skeptisch klingende Fragen gestellt: »Haben Sie nicht erwähnt, Miss Chance, dass Sie Kriminalromane schreiben? Könnte es nicht sein, dass hier Ihre Phantasie mit Ihnen durchgegangen ist?« Doch Ruby hatte sich nicht von ihrer Überzeugung abbringen lassen, und schließlich hatte der Detective – vermutlich, um sie wieder loszuwerden – ein paar Polizisten auf den Bauernhof geschickt.
    Jetzt wollte er alles genau wissen. Alles Beschämende, alles Verborgene. Josiah Quinns Charakter: »Ein brutaler Kerl, in jeder Hinsicht«, sagte der Detective und fügte auf Rubys erstaunte Nachfrage hinzu, dass er bereits mit den Einheimischen gesprochen habe.
    Er fragte nach der Vergangenheit ihres Vaters, nach seinem Kriegsdienst und seinen finanziellen Verhältnissen. Und er

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