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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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das ist alles.«
    Ich nahm sie bei der Hand und küsste sie auf die Lippen, wobei ich meinen Körper nach vorn bog und mich fest an sie schmiegte, um sie spüren zu lassen, wie sehr ich sie begehrte. »Egal was du anhast, du wirst aus jeder Menge herausstechen«, sagte ich zu ihr. »Hast du das inzwischen noch nicht gemerkt?«
    Sie lächelte und biss sich auf die Unterlippe, in der für sie typischen verschmitzen Manier, und dann schüttelte sie den Kopf über meine Dummheit, doch mir entging nicht, dass ihr mein Kompliment gefiel.
    Ein paar Minuten später gingen wir am Palast entlang zu dem Fußweg, der das Ufer der Newa säumte. Die Nacht war wärmer als die meisten, die ich bis dahin in der Hauptstadt erlebt hatte – man konnte atmen, ohne dass sich die Dampfwolken unausgesprochener Wörter vor einem in der Luft verflüchtigten, und meine Hosen klebten mir auch nicht mit jener klammen Kälte an den Beinen, wie sie für so viele Abende in St. Petersburg typisch war.
    Der erste Anblick, der sich uns bot, war die halb fertiggestellte Palaisbrücke, mit deren Bau man schon vor meiner Ankunft in der Stadt begonnen hatte, doch wegen des Krieges waren die Arbeiten eingestellt worden, und nun erhob sie sich vor uns und gemahnte an den Stillstand, der in unserem Land eingetreten war. Die gewaltigen Stützpfeiler aus Ziegelstein und Stahl ragten auf beiden Seiten der Newa in die Höhe, einer an der Vorderseite der Eremitage, der andere drüben auf der Wassiljewinsel, doch nichts deutete darauf hin, dass sich die beiden Brückenteile jemals zu einem Ganzen verbinden würden – stattdessen streckten sie sich nach dem anderen aus wie zwei Liebende, die durch eine weite Wasserfläche getrennt wurden. Voller Mitgefühl registrierte ich Anastasias niedergeschlagenen Gesichtsausdruck, mit dem sie auf das unvollendete Bauwerk starrte.
    »Du schaust dir die Brücke an?«, fragte ich.
    Sie nickte, schwieg jedoch noch eine Weile, wobei sie sich vielleicht vorstellte, wie das Ganze aussehen könnte, wäre der Krieg nicht dazwischengekommen. »Ja«, sagte sie schließlich. »Glaubst du, dass sie jemals fertiggestellt wird?«
    »Ja, natürlich«, sagte ich mit einem zuversichtlichen Tonfall, der meine Skepsis überspielen sollte.
    »Irgendwann bestimmt. Das kann doch nicht so bleiben.«
    »Als die Bauarbeiten begannen, war ich elf oder zwölf Jahre alt«, erinnerte sie sich mit einem kleinen Lächeln. »So alt, wie Alexei heute ist. Die Baubehörde hatte verfügt, dass die Arbeit an der Brücke zwischen neun Uhr abends und sieben Uhr morgens zu ruhen hatte – also genau zu der Zeit, von der man annehmen möchte, sie sei die günstigste, um ein Bauvorhaben dieser Art zu realisieren.«
    »Ach, tatsächlich?«, fragte ich, davon überrascht, wie gut sie sich in dieser Materie auskannte.
    »Ja. Und weißt du auch, warum da nicht gearbeitet werden durfte?«
    »Nein.«
    »Weil es mich in meiner Nachtruhe gestört hätte. Das heißt, meine Schwestern und mich. Und meinen Bruder.«
    Ich schaute sie an und lachte, überzeugt, dass sie mir einen Bären aufband, doch ihr Gesichtsausdruck belehrte mich eines Besseren, und ich kam nicht umhin, ein weiteres Mal zu lachen, diesmal vor Erstaunen über das außergewöhnliche Leben, das sie führte.
    »Nun, jetzt kannst du schlafen, so viel du willst«, sagte ich schließlich. »Es gibt keine Arbeiter und auch keinen Stahl, bis der Krieg vorbei ist.«
    »Ich wünschte mir, dieser Tag wäre bereits gekommen«, sagte sie, als wir weitergingen.
    »Vermisst du deinen Vater?«
    »Ja, sehr«, gab sie zu. »Aber es ist mehr als das. Und ich wünsche mir das nicht aus den Gründen, aus denen meine Schwester will, dass der Krieg ein Ende hat. Ich habe kein Interesse an Bällen oder an teuren Kleidern und all den anderen Belanglosigkeiten, welche die feine Gesellschaft von St. Petersburg so sehr schätzt.«
    »Ach, wirklich?«, fragte ich überrascht. »Ich habe bislang immer gedacht, du würdest solche Vergnügungen genießen.«
    »Nein«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. »Ich sage nicht, dass ich sie nicht mag, Georgi. So einfach ist das nicht. Mitunter können solche Dinge recht amüsant sein. Aber du hast keine Vorstellung, wie das Leben hier vor dem Krieg war. Meine Eltern nahmen jeden Abend an einer anderen Festlichkeit teil. Olga war gerade in die Gesellschaft eingeführt worden. Sie hätten schon bald einen Mann für sie gefunden. Wahrscheinlich irgendeinen englischen Prinzen. Und das werden sie

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