Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
bereuen.«
Er dachte noch eine Weile darüber nach, bevor er mir mit seinem kurzen, fleischigen Zeigefinger drohte. »Also, ich gebe Ihnen noch eine Chance, Jatschmenew, doch das ist wirklich die letzte. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, Monsieur Ferré.«
»Ich weiß, Sie und Ihre Frau haben gerade Schreckliches durchgemacht, aber das tut nichts zur Sache. Sollten Sie mir noch einmal einen Anlass geben, auf diese Weise mit Ihnen zu sprechen, dann werden sich unsere Wege trennen. In der Zwischenzeit können Sie zum Ausgleich ein paar Überstunden machen. Am Besten fangen Sie gleich heute Abend damit an. Einige dieser Regale sind in einem traurigen Zustand. Vorhin habe ich mich hier ein wenig umgesehen und festgestellt, dass die alphabetische Ordnung völlig durcheinandergeraten ist. Ich habe keines der Bücher finden können, das ich gesucht habe.«
»Ja, Monsieur Ferré«, sagte ich und verneigte mich kurz vor ihm – eine alte, schwer abzuschüttelnde Angewohnheit gegenüber Respektspersonen. »Ich werde mir die Regale gleich vornehmen. Und vielen Dank. Ich meine, für die zweite Chance.«
Er nickte, und erleichtert machte ich mich ans Werk, denn die Arbeit im Buchladen war angenehm, und ich fand es sehr anregend, von so viel Kultur und Gelehrsamkeit umgeben zu sein. Noch wichtiger war jedoch, dass ich es mir nicht leisten konnte, auf das geringe Einkommen zu verzichten, das uns meine Anstellung bescherte.Der Notgroschen, den wir seit unserer Ankunft in Paris vor mehr als drei Jahren angespart hatten, war in den Wochen nach Sojas Fehlgeburt angesichts der Ausgaben für Ärzte und Medikamente gehörig zusammengeschmolzen, ganz zu schweigen vom vorübergehenden Verlust unseres zweiten Einkommens, und ich wagte mir nicht vorzustellen, wie es uns ergehen würde, sollte ich tatsächlich meine Arbeit verlieren. Und so nahm ich mir fest vor, Monsieur Ferré nie wieder einen Anlass zu Kritik zu geben.
Die Nachricht von Leos Verhaftung ereilte mich, als Soja eines Spätnachmittags im November mit aschfahlem Gesicht im Buchladen auftauchte – draußen herrschte seit einigen Tagen eine knackige Kälte, und die Bäume waren bereits ihrer Blätter beraubt. Ich stand hinter dem Ladentisch, wo ich eine Reihe von Anatomielehrbüchern begutachtete, die Monsieur Ferré aus mir unerklärlichen Gründen einige Tage zuvor bei einer Auktion ersteigert hatte, als das Glöckchen über der Eingangstür ertönte, und ich erzitterte instinktiv in Erwartung der eisigen Brise, die in den Laden hereinfegen und mir in die Ohren und in die Nase kneifen würde. Als ich aufschaute, war ich überrascht, meine Frau auf mich zukommen zu sehen, in ihren Mantel gehüllt und einen Schal, den sie selbst gestrickt hatte, locker um ihren Hals geworfen.
»Soja«, sagte ich, darüber erleichtert, dass mein Chef bereits nach Hause gegangen war, denn es hätte ihm kaum gefallen, dass ich während der Arbeitszeit privaten Besuch bekam. »Ist was passiert? Du bist weiß wie die Wand.«
Sie schüttelte den Kopf und zögerte kurz, um wieder zu Atem zu kommen, und mir wurde ganz schwummrig, als ich mir vorzustellen versuchte, was alles passiert sein mochte. Es war inzwischen fast drei Monate her, dass sie ihr Kind verloren hatte, und obwohl sie deswegen noch immer bedrückt war, hatte sie langsam wieder Spaß an unserem gemeinsamen Alltag gefunden. Nur ein paar Nächte zuvor hatten wir zum ersten Mal nach unserem Verlust wieder miteinander geschlafen. Es war sanft und gefühlvoll gewesen, und hinterher hatte sie vollkommen still in meinen Armen gelegen und hin und wieder zu mir aufgeschaut, um mich zärtlich zu küssen – die Tränen waren endlich versiegt, und an ihre Stelle war die Aussicht auf Hoffnung getreten. Mir graute vor dem Gedanken, dass sie wieder krank geworden war, doch als sie den panischen Gesichtausdruck registrierte, mit dem ich sie anschaute, zerstreute sie meine Befürchtungen auf der Stelle.
»Es geht nicht um mich«, sagte sie. »Mir geht’s gut.«
»Gott sei Dank«, erwiderte ich. »Aber du siehst so bekümmert aus. Was kann …«
»Es geht um Leo«, sagte sie. »Er ist verhaftet worden.«
Ich riss überrascht die Augen auf, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen, denn ich fragte mich, welchen Ärger sich mein lieber Freund, der hin und wieder über die Stränge schlug, diesmal eingebrockt haben mochte. »Verhaftet?«, fragte ich. »Aber warum? Was in aller Welt hat er getan?«
»Du wirst es mir nicht glauben«, sagte
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