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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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worden.‹
    ›Verhaftet?‹, schrie sie, und der Mann sagte Ja, und dann erzählte er, dass Leo früher am Nachmittag einen Gendarmen getötet habe, dass man ihn bis zu seinem Prozess in Untersuchungshaft behalten würde und dass er darum gebeten habe, jemand solle zu Sophie geschickt werden und ihr berichten, was geschehen sei.«
    »Aber Leo?«, fragte ich verblüfft. » Unser Leo? Wie in aller Welt hat er jemanden töten können? Warum sollte er so was tun?«
    »Ich weiß es nicht, Georgi«, sagte sie, wobei sie sich erhob und frustriert im Raum auf und ab zu gehen begann. »Ich weiß nur das, was ich dir gerade erzählt habe. Sophie ist sofort zur Polizeiwache gerannt, um Leo zu sehen. Ich habe zu ihr gesagt, dass ich dich hier abholen würde und dass wir nachkommen würden. Das war doch richtig, oder?«
    »Ja, natürlich«, sagte ich und schnappte mir die Ladenschlüssel, wobei es mich nicht kümmerte, dass ich die Buchhandlung eigentlich erst in einer Stunde schließen durfte. »Natürlich müssen wir hin. Unsere Freunde stecken in Schwierigkeiten.«
    Wir traten auf die Straße hinaus, und ich sperrte die Tür hinter mir ab, wobei ich mich dafür verfluchte, dass ich am Morgen vergessen hatte, meine Handschuhe mitzunehmen, denn der Wind war so heftig, dass meine Wangen schon nach wenigen Sekunden vor Kälte scharlachrot wurden. Als wir die Straße hinunterliefen, galten meine Gedanken fast ausschließlich meinem lieben Freund, der irgendwo in eine Zelle gesperrt war, wegen eines abscheulichen Verbrechens, doch trotzdem kam ich nicht umhin, die gleiche Erleichterung zu verspüren, die Soja empfunden hatte, als ihr klar geworden war, dass dieser Herr wegen Sophie gekommen war und nicht wegen uns.
    Es war erst vier Jahre her, dass wir Russland verlassen hatten. Ich lebte noch immer in dem Glauben, dass sie uns eines Tages aufspüren würden.
    Wir durften Leo nicht sehen, und keiner der Gendarmen wollte uns Näheres über die Umstände erzählen, die zu seiner Inhaftierung geführt hatten. Der diensthabende Polizeimeister, ein älterer Mann, schaute mich voller Verachtung an, als er meinen Akzent wahrnahm, und er schien nicht gewillt, auch nur eine meiner Fragen zu beantworten, sondern grunzte nur und zuckte die Achseln, sobald ich mich an ihn wandte, so als wäre es unter seiner Würde, mir eine Antwort zu erteilen. Es kam selten vor, dass man uns mit Fremdenfeindlichkeit begegnete – der Krieg hatte schließlich dafür gesorgt, dass sich Menschen aus aller Herren Länder in Paris tummelten –, doch hin und wieder spürten wir gewisse Ressentiments bei jenen älteren Franzosen, denen es nicht schmeckte, dass so viele exilierte Russen und Europäer ihre Hauptstadt bevölkerten.
    »Sie sind keine Familienangehörigen«, sagte der Polizeimeister, wobei er beim Sprechen kaum zu mir aufsah, sondern sich weiter mit einem Kreuzworträtsel beschäftigte. »Ich bin nicht befugt, Ihnen etwas zu sagen.«
    »Aber wir sind Freunde«, protestierte ich. »Monsieur Raymer war Trauzeuge bei meiner Hochzeit. Unsere Frauen sind Arbeitskolleginnen. Sie können doch sicher …« In diesem Augenblick öffnete sich zu meiner Linken eine Tür, und Sophie erschien auf der Bildfläche, kreidebleich, verzweifelt darum bemüht, ihre Tränen zu unterdrücken. Sie wurde von einem Gendarmen eskortiert und schien überrascht, uns auf sie warten zu sehen, aber auch dankbar. Sie versuchte zu lächeln, bevor sie sich anschickte, die Polizeiwache zu verlassen.
    »Sophie«, sagte Soja, als wir ihr nach draußen in die Dunkelheit gefolgt waren. Inzwischen war es Nacht geworden, und der Wind hatte gnädigerweise nachgelassen. »Sophie, was ist los? Was ist geschehen? Wo ist Leo?«
    Sie schüttelte den Kopf, als fehlten ihr die Worte, um zu erklären, was vorgefallen war, und so führten wir sie über die Straße und in ein nahe gelegenes Café, wo wir drei Kaffee bestellten und sie sich wieder so weit in den Griff bekam, dass sie uns erzählen konnte, was man ihr mitgeteilt hatte.
    »Das Ganze ist einfach lächerlich«, sagte sie. »Ein Unfall, nichts weiter. Ein dummer Unfall. Aber sie sagen, weil dabei ein Gendarm getötet wurde …«
    »Getötet?«, fragte ich, geschockt von der Brutalität des Wortes, seinem harschen, unangenehmen Klang. »Aber Leo? Das ist unmöglich! Was genau ist passiert?«
    »Er hat heute Morgen wie immer die Wohnung verlassen«, begann sie, mit einem Seufzer, als könnte sie nicht glauben, dass ein Tag, der so harmlos

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