Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Gelegenheit hatte er mir angeboten, mich in ein gewisses ihm bekanntes Haus mitzunehmen, wo man mein Problem beheben würde, doch ich hatte diesen Vorschlag entrüstet von mir gewiesen und war nach Hause gegangen, um meine Lust allein zu befriedigen, bevor mich sein Angebot in Versuchung führen konnte.
»Aber ich verstehe das nicht«, sagte Sophie, wobei sie ihren Hut abnahm und ihr langes dunkles Haar zurechtschüttelte, als wir am Tisch Platz nahmen. »Ein zweites Weihnachten?«
»Es ist das traditionelle russisch-orthodoxe Weihnachten«, erklärte ich. »Das hat etwas mit dem Julianischen und dem Gregorianischen Kalender zu tun. Das ist alles ziemlich kompliziert. Die Bolschewiken wollten, dass wir uns dem Rest der Welt anpassen, was wohl nicht einer gewissen Ironie entbehrt, doch die Traditionalisten unter uns machen das natürlich nicht mit. Deshalb ein separater erster Weihnachtsfeiertag.«
»Natürlich nicht«, sagte Leo mit einem charmanten Lächeln. »Der Himmel möge verhüten, dass du gemeinsame Sache mit den Bolschewiken machst!«
Soja und Leo hatten seit dem früheren Vorfall nicht mehr miteinander gesprochen, und die Erinnerung an ihren Streit schwebte über unserem Tisch wie eine dunkle Wolke, doch die Tatsache, dass wir die beiden trotzdem zum Essen eingeladen hatten, bewies, dass wir weiterhin Wert auf ihre Freundschaft legten, und es ehrte Leo, dass er der Erste war, der die Friedensfühler ausstreckte.
»Ich denke, ich muss mich bei dir entschuldigen, Soja«, sagte er nach zwei Gläsern Wein und nachdem Sophie ihm einen unübersehbaren Rippenstoß verpasst hatte. »Ich bin am ersten Weihnachtsfeiertag ziemlich unhöflich gewesen. Also, an unserem ersten Weihnachtsfeiertag. Ich war auch etwas betrunken. Habe ein paar Dinge gesagt, die ich besser nicht gesagt hätte. Ich hatte kein Recht, so über dein Heimatland zu reden.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte sie, jedoch ohne eine Spur von Verärgerung. »Aber ich hätte auch nicht so reagieren dürfen, wie ich es in eurer Wohnung getan habe – so bin ich nicht erzogen worden, und ich denke, ich muss mich ebenfalls entschuldigen.«
Ich bemerkte, dass keiner der beiden seine Worte ausdrücklich zurücknahm, und eigentlich entschuldigten sie sich auch nicht beim anderen, sondern brachten lediglich das Gefühl zum Ausdruck, sich beim anderen entschuldigen zu müssen, doch ich wollte den Streit nicht aufs Neue entfachen, indem ich sie darauf hinwies.
»Nun, du bist ein Gast in unserem Land«, sagte er zu ihr, mit einem breiten Lächeln, »und deshalb war es falsch von mir, so mit dir zu reden. – Wenn du gestattest?« Er hob sein Glas in die Höhe, und wir schlossen uns ihm an. »Auf Russland«, sagte er.
»Auf Russland«, erwiderten wir, und dann ließen wir die Gläser klingen und nahmen jeder einen ordentlichen Schluck Wein.
»Vive la révolution«, fügte er leise hinzu, aber ich war wohl der Einzige, der diese Bemerkung mitbekam, und natürlich ging ich nicht darauf ein.
»Ich frage mich trotzdem, warum ihr nie darüber sprecht«, sagte er einen Augenblick später. »Ich meine, wenn dort alles so herrlich gewesen ist. Ach komm, Sophie, schau mich nicht so an! Das ist doch eine ganz vernünftige Frage, oder?«
»Soja möchte nicht darüber sprechen«, erwiderte Sophie. Sie hatte schon mehrmals vergeblich versucht, ihrer neuen Freundin Näheres über deren Vergangenheit zu entlocken, und hatte es schließlich aufgegeben.
»Aber wie steht es mit dir, Georgi?«, fragte Leo. »Kannst du uns nicht ein bisschen von dem Leben erzählen, das du geführt hast, bevor du nach Paris gekommen bist?«
»Da gibt es kaum etwas zu erzählen«, erwiderte ich mit einem Achselzucken. »Ich habe neunzehn Jahre auf einem Bauernhof verbracht. Da erlebt man nicht viel.«
»Nun, wo habt ihr beide euch kennengelernt, Soja? Du hast gesagt, du stammst aus St. Petersburg, nicht wahr?«
»In einem Eisenbahnabteil«, sagte ich. »An dem Tag, als wir beide Russland für immer verließen. Wir saßen uns in diesem Abteil gegenüber, und da sonst niemand da war, haben wir angefangen, uns zu unterhalten. Und seitdem sind wir zusammen.«
»Oh, wie romantisch«, sagte Sophie. »Aber eins musst du mir verraten. Wenn ihr zweimal Weihnachten feiert, dann musst du doch auch zweimal Geschenke bekommen. Richtig? Und ich weiß, du hast ihr zum ersten Weihnachtsfeiertag Parfüm gekauft, Georgi. Also, erzähl, Soja. Hat Georgi dir heute noch einmal etwas geschenkt?«
Soja schaute
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