Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Racklezki uns an einen Tisch, auf dem das Evangelium und das Kreuz lagen, um das Wort Gottes und unsere Erlösung zu versinnbildlichen. Wir schritten gemeinsam im Kreis um den Tisch herum, nun als ein verheiratetes Paar, und dann standen wir wieder vor dem Priester, während er den abschließenden Segen rezitierte, bei dem er für mich erflehte, ich solle gepriesen werden wie Abraham und gesegnet sein wie Isaak, mich vermehren, wie Jakob es getan hatte, in Frieden wandeln und in Rechtschaffenheit arbeiten, und Soja wünschte er, sie solle gepriesen werden wie Sara und froh sein wie Rebekka, sich vermehren, wie Rahel es getan hatte, sich an ihrem neuen Ehemann erfreuen und die Bedingungen des Gesetzes erfüllen, denn so sei es Gott wohlgefällig.
Die Trauzeremonie war beendet, und unser Eheleben begann.
Sophie und Leo brachen in spontanen Beifall aus, und Vater Racklezki schien von ihrer legeren Art überrascht zu sein, ohne jedoch daran Anstoß zu nehmen. Er gratulierte uns beiden, wobei er mir kräftig die Hand schüttelte und sich dann nach vorn beugte, um der Braut einen Kuss zu geben, die in diesem Moment ihren Schleier lüftete.
Er hielt jählings inne und zuckte zurück, eine so plötzliche und unerwartete Bewegung, dass ich dachte, er habe irgendeinen Anfall oder eine Herzattacke bekommen. Er murmelte etwas Unverständliches und zögerte so lange, dass Sophie, Leo und ich ihn nur anstarren konnten, als hätte er völlig den Verstand verloren. Seine Augen fixierten die von Soja, doch anstatt verwirrt oder verlegen wegzuschauen, hielt sie seinem Blick stand, wobei sie ihr Kinn hob und ihm nicht ihre Wange zum Kuss hinhielt, sondern ihre Hand. Einen Augenblick später kehrte er in die Wirklichkeit zurück, ergriff hastig ihre Hand, küsste diese und entfernte sich dann von uns beiden, ohne uns dabei den Rücken zu kehren. Sein Gesicht offenbarte seine Verwirrung, sein Erstaunen, seinen völligen Unglauben.
Obwohl er uns versprochen hatte, noch ein wenig zu bleiben und nach der Zeremonie mit uns zu Abend zu essen, packte er in Windeseile seine Habseligkeiten zusammen und machte sich auf den Heimweg, nachdem er noch ein paar Worte mit Soja gewechselt hatte, jedoch nicht in der Wohnung, sondern draußen im Hausflur, wo die beiden ungestört waren.
»Was für ein seltsamer Mensch«, resümierte Sophie, als wir eine Stunde später ziemlich vornehm speisten, wobei wir das Essen mit einer außergewöhnlich guten Flasche Wein hinunterspülten, die unsere Freunde besorgt hatten.
»Es muss lange her sein, dass er eine so hübsche Frau wie deine russische Braut gesehen hat«, sagte Leo, auf seine charmanteste und koketteste Art, wobei seine gelockerte Krawatte vor seinem geöffneten Hemdkragen herabbaumelte. »Er hat dich angeglotzt, Soja, als bedaure er es, dass er nicht der Bräutigam gewesen ist.«
»Auf mich wirkte er so, als hätte er ein Gespenst gesehen«, fügte Sophie hinzu.
Ich wandte mich meiner Frau zu, und als sich unsere Blicke trafen, schüttelte sie kurz den Kopf, bevor sie sich wieder in das Tischgespräch einschaltete. Ich konnte es kaum erwarten, bis wir beide endlich allein waren, allerdings nicht aus dem Grund, den man sich womöglich vorstellt. Nein, ich wollte wissen, worum es in dem Gespräch gegangen war, das der Priester und Soja im Hausflur geführt hatten, bevor er uns verlassen hatte.
Leo und Sophie machten uns noch ein zweites Geschenk: Wir durften ihre Wohnung als Domizil für unsere Flitterwochen benutzen, für drei Nächte trauter Zweisamkeit, während sie für die Dauer unseres dortigen Aufenthalts in die ehemaligen Zimmer von Soja und mir übersiedelten. Das war sehr zuvorkommend von ihnen, denn die eigene Wohnung, die wir in Kürze beziehen sollten, stand uns erst ab Mitte der Woche zur Verfügung, und natürlich wollten wir so kurz nach unserer Hochzeit nicht gleich wieder voneinander getrennt sein.
»Er weiß, wer du bist«, sagte ich zu Soja, nachdem Leo und Sophie sich an jenem Abend von uns verabschiedet hatten.
»Ja, das weiß er«, erwiderte sie und nickte.
»Wird er es für sich behalten?«
»Er wird es niemandem erzählen«, sagte sie. »Dessen bin ich mir sicher. Er ist ein Loyalist, ein rechtgläubiger Mensch.«
»Und du glaubst ihm?«
»Ja, das tue ich.«
Ich nickte, denn mir blieb keine andere Wahl, als mich auf ihr Urteilsvermögen zu verlassen. Es war ein eigenartiger Moment der Panik, der keinem von uns entgangen war, doch nun war er vorbei, und wir waren
Weitere Kostenlose Bücher