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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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zu mir herüber und lächelte, und ich nickte ihr zu, denn von mir aus durfte sie es ihnen gern erzählen. Daraufhin lachte sie und wandte sich den beiden zu, wobei ein breites Grinsen in ihr Gesicht trat. »Ja, natürlich hat er das«, sagte sie. »Ist es euch noch nicht aufgefallen?«
    Und als sie dies sagte, streckte sie ihre linke Hand aus, um ihnen mein Geschenk zu zeigen. Ich war nicht überrascht, dass sie es bis dahin noch nicht bemerkt hatten. Es muss der kleinste Verlobungsring in der Geschichte der Menschheit gewesen sein. Aber mehr konnte ich mir nicht leisten. Und für mich zählte einzig und allein, dass sie ihn trug.
    Wir heirateten im Herbst 1919, fast fünfzehn Monate nach unserer Flucht aus Russland, im Rahmen einer Zeremonie, der es so sehr an Glanz fehlte, dass sie sicher erbärmlich gewirkt hätte, wäre ihre Kargheit nicht wieder wettgemacht worden durch die Intensität unserer Liebe.
    Erzogen zum Gehorsam gegenüber einer strengen, unerschütterlichen Doktrin, wollten wir unbedingt, dass unsere Verbindung den Segen der Kirche erhielt. In Paris konnten wir jedoch keine russisch-orthodoxe Kirche finden, und so schlug ich vor, stattdessen in einer französisch-katholischen Kirche zu heiraten, doch Soja wollte nichts davon wissen und wurde beinahe wütend, als ich ihr diesen Vorschlag unterbreitete. Ich selber war nie besonders religiös gewesen, auch wenn ich den Glauben, in dem ich erzogen worden war, nicht infrage stellte, doch Soja empfand in dieser Hinsicht anders als ich, und sie betrachtete den Verzicht auf unsere Konfession als einen Schritt, der uns endgültig von unserem Heimatland trennen würde, und sie war nicht dazu bereit, diesen Schritt zu vollziehen.
    »Aber wo dann?«, fragte ich sie. »Du meinst doch wohl nicht, dass wir wegen der Trauzeremonie wieder nach Russland zurückkehren sollen? Das wäre …«
    »Natürlich nicht«, sagte sie, obwohl ich sehr gut wusste, dass sich etwas in ihr danach sehnte, zurückzukehren. Sie empfand eine Verbindung zu dem Land und zu seinen Menschen, die ich selber binnen kürzester Zeit verloren hatte – es war ein unauslöschlicher Teil ihres Wesens. »Aber ich würde mich nicht wirklich verheiratet fühlen, Georgi, wenn wir auf die vorgeschriebene Zeremonie verzichteten. Denk an meinen Vater und an meine Mutter! Stell dir vor, wie sie sich fühlen würden, sollte ich unsere Traditionen missachten!«
    Gegen dieses Argument war kein Kraut gewachsen, und so machte ich mich auf die Suche nach einem russisch-orthodoxen Priester. Die russische Gemeinde war klein und über die ganze Stadt verteilt, und wir hatten uns dort nie umgetan. Als einmal ein junges russisches Paar den kleinen Buchladen betrat, in dem ich als Gehilfe arbeitete, und ich ihre Stimmen vernahm, da beschwor der vertraute Klang unserer Muttersprache, die Melodie ihrer Intonation in mir Bilder und Erinnerungen herauf, die mich vor Sehnsucht und Schmerz ganz schwindelig machten. Ich sah mich gezwungen, mich zu entschuldigen und, unter dem Vorwand, mir sei plötzlich schlecht geworden, in die kleine Gasse hinter dem Laden zu verschwinden, sehr zum Missfallen meines Arbeitgebers, Monsieur Ferré, der das Paar nun selber bedienen musste. Ich wusste, die meisten russischen Emigranten lebten und arbeiteten im Bezirk Neuilly im dix-septième , einer Gegend, die wir absichtlich mieden, da wir nicht Teil einer Gemeinde werden wollten, in der uns möglicherweise Gefahr drohte.
    Bei meiner Detektivarbeit stellte ich mich jedoch ziemlich geschickt an, und schließlich hatte ich einen älteren Mann namens Raklezki ausfindig gemacht, der in einem kleinen Mietshaus im Hallenviertel wohnte und sich dazu bereit erklärte, die Trauzeremonie zu vollziehen. Er erzählte mir, er sei in den 1870er Jahren in Moskau zum Priester geweiht worden und nach wie vor ein rechtgläubiger Mensch, habe sich aber nach der Revolution von 1905 mit seiner Diözese überworfen und sei deswegen nach Frankreich übergesiedelt. Als ein loyaler Untertan des Zaren habe er sich dem revolutionären Priester Vater Gapon erbittert widersetzt und in jenem Jahr vergeblich versucht, diesen von seinem Marsch auf das Winterpalais abzuhalten.
    »Gapon war streitlüstern«, erzählte er mir. »Ein Anarchist, der sich als Fürsprecher der Arbeiter gerierte. Er brach mit den Konventionen der Kirche und heiratete zweimal, er forderte den Zaren heraus, und trotzdem machten sie einen Helden aus ihm.«
    »Bevor sie sich gegen ihn wandten und ihn

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