Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
durchkreuzt wurde, die ich benötigte, um wieder zu Atem zu kommen. Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper, die Hände an den Hüften, stand ich da und schnappte keuchend nach Luft. »Ich habe mir nie träumen lassen, jemals eine so hohe Position zu bekleiden, doch Sie können sich darauf verlassen, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um die mir zugedachte Aufgabe mit Tapferkeit und Anstand zu erfüllen, und dass ich Ihrer Truppe keine Schande machen werde. Ich bin darauf erpicht, alles zu lernen, was ein Leibgardist wissen muss. Und Sie werden sehen, ich lerne schnell. Das verspreche ich Ihnen.«
    Er war mir inzwischen ein paar Schritte vorausgeeilt, blieb nun aber ebenfalls stehen und drehte sich zu mir um. Er starrte mich einen Augenblick lang dermaßen überrascht an, dass ich nicht wusste, ob er auf mich zutreten und mir eine Ohrfeige verpassen oder mich kurzerhand durch eines der hohen Farbglasfenster werfen würde, die die Wände säumten. Am Ende tat er nichts davon, sondern schüttelte lediglich den Kopf und ging weiter, wobei er mir über die Schulter zurief, ich solle die Beine in die Hand nehmen und ihm folgen.
    Ein paar Minuten später landeten wir in einem langen Flur, und er gebot mir, auf einem prächtigen Stuhl Platz zu nehmen. Ich tat, wie mir geheißen, dankbar für diese bitter benötigte Atempause. Er nickte, hochzufrieden angesichts der erfolgreichen Durchführung seiner Mission, und kehrte mir den Rücken, um seiner Wege zu gehen, doch bevor er völlig aus meinem Gesichtsfeld verschwunden war, fasste ich mir ein Herz und rief ihm hinterher.
    »Herr Graf!«, schrie ich. »Graf Tscharnetzki!«
    »Was gibt’s denn noch?«, fragte er, wobei er sich umdrehte und mich anfunkelte, als könnte er es nicht fassen, dass ich die Stirn hatte, ihn erneut anzusprechen.
    »Nun …«, begann ich, wobei ich um mich blickte und die Achseln zuckte. »Was soll ich jetzt tun?«
    »Was du jetzt tun sollst, Junge?«, fragte er und machte wieder ein paar Schritte auf mich zu. Er lachte kurz auf, aber vor Verbitterung, wie ich annahm, nicht vor Belustigung. »Was du tun sollst? Na, du wirst hier warten. Bis du hereingerufen wirst. Und dann wird man dich instruieren.«
    »Und danach?«
    »Danach«, sagte er, wobei er sich wieder von mir wegdrehte und in die Dunkelheit des Flurs eintauchte, »wirst du tun, was wir hier alle tun, Georgi Daniilowitsch. Du wirst gehorchen.«
    Die Minuten, die ich dort saß, zogen sich endlos dahin, und ich begann mich zu fragen, ob man mich vielleicht vergessen hatte. Auf dem Flur war es mucksmäuschenstill, und abgesehen von dem Gefühl, dass hinter jeder der Palasttüren ganze Scharen von beflissenen Dienstboten herumwuselten, gab es praktisch kein Anzeichen von Leben. Wer immer mich in meine Pflichten einweisen sollte, ließ auf sich warten. Mich beschlich allmählich ein gewisses Unbehagen, und ich fragte mich, was ich tun sollte, falls niemand auftauchte, um sich meiner anzunehmen. Ich hatte auf eine warme Mahlzeit gehofft, auf ein Bett, auf eine Möglichkeit, mir den Staub von der Reise vom Körper zu waschen, doch nun schien es unwahrscheinlich, dass ich noch in den Genuss dieser Annehmlichkeiten kommen würde.
    Der von meiner Anwesenheit alles andere als entzückte Graf Tscharnetzki war wieder in den Tiefen des Labyrinths verschwunden. Ob vielleicht der Großfürst Nikolaus Nikolajewitsch selbst das Gespräch mit mir führen würde? Nein, er war vermutlich wieder zur Stawka, dem Hauptquartier des russischen Feldheeres, zurückgekehrt. Mein Magen begann zu knurren – es war fast vierundzwanzig Stunden her, dass ich zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Ich schaute mit gerunzelter Stirn zu ihm hinunter, so als könne ihn ein scharfer Tadel dazu bringen, Ruhe zu geben. Sein tiefes Grummeln, das an das Geräusch einer sich langsam öffnenden, ungeölten Tür erinnerte, hallte durch den Flur und wurde von Sekunde zu Sekunde lauter und peinlicher. Ich hustete ein wenig, um das Knurren zu kaschieren, und als ich mich erhob, um meine Glieder zu strecken, spürte ich einen stechenden Schmerz, der mir von der Knöchelgegend bis in den Oberschenkel schoss, ein Souvenir von dem langen Ritt von Kaschin.
    Der Durchgang, in dem ich stand, gewährte einen Blick auf die Newa, deren Ufer von elektrischen Lichtern illuminiert wurden. Trotz der späten Stunde fuhren noch immer ein paar Ausflugsdampfer, was mich verwunderte, denn es war ein kühler Abend, und auf dem Wasser wehte

Weitere Kostenlose Bücher