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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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wohnen?«, fragte ich ungläubig und versuchte, nicht zu lachen angesichts dieser irrwitzigen Vorstellung.
    »Keine Ahnung«, erwiderte er. »Unser Befehl lautet, dich bei Graf Tscharnetzki abzuliefern, und danach musst du sehen, wie du allein zurechtkommst.«
    Wir passierten den roten Granit der Alexandersäule, die fast doppelt so hoch war wie der Palast. Ich blickte hinauf zu ihrer Spitze, wo ein Engel zu erkennen war, der ein Kreuz umklammert hielt. Das Haupt des Engels war gebeugt, als hätte er eine Niederlage erlitten, doch seine Pose war die eines Siegers, eine an seine Feinde gerichtete Aufforderung, sich zu erkennen zu geben, denn die Kraft seines Glaubens würde dafür sorgen, dass sie ihm nichts anhaben könnten. Ich folgte den beiden Soldaten und trat unter einen direkt ins Innere des Palastes führenden Torbogen, wo mir mein Pferd abgenommen wurde und mich ein korpulenter Herr erwartete. Er musterte mich von oben bis unten, als ich mir die Strapazen der langen Reise aus den Kleidern schüttelte, und schien von dem, was er sah, kein bisschen beeindruckt.
    »Du bist Georgi Daniilowitsch Jatschmenew?«, fragte er mich, als ich ihn erreicht hatte.
    »Jawohl, mein Herr, der bin ich«, antwortete ich höflich.
    »Und ich bin Graf Wladimir Wladjewitsch Tscharnetzki«, verkündete er, den Klang dieser Wörter sichtlich genießend, als sie ihm von der Zunge perlten. »Ich habe die große Ehre, der Kommandeur der Leibgarde Seiner Kaiserlichen Majestät zu sein. Ich habe gehört, du hast in deinem Dorf ein veritables Heldenstück vollbracht und bist dafür mit einer Stelle im Haushalt des Zaren belohnt worden. Ist das richtig?«
    »Ja, so heißt es«, gab ich zu. »Doch in Wahrheit ging das alles so schnell, dass ich …«
    »Papperlapapp«, unterbrach er mich unwirsch. Dann drehte er sich um und bedeutete mir, ihm durch eine andere Tür in die Wärme des Palastinneren zu folgen. »Du musst wissen, dass solche selbstlosen Einsätze zu den alltäglichen Pflichten derjenigen gehören, die den Zaren und seine Familie beschützen. Du wirst in Zukunft an der Seite von Männern arbeiten, die ihr Leben schon zigmal riskiert haben. Bilde dir also nicht ein, du seist etwas Besonderes. Wir können auch ohne dich auskommen, verstehst du?«
    »Jawohl, Herr Graf«, erwiderte ich, von seiner feindseligen Haltung überrascht. »Ich halte mich keineswegs für etwas Besonderes. Und ich versichere Ihnen, dass ich …«
    »Normalerweise mag ich es nicht, wenn man mir neue Leibgardisten aufzwingt«, verkündete er, als er mich schnaufend und pustend eine Reihe von breiten, mit purpurfarbenen Läufern ausgelegten Treppen hinaufführte, wobei er ein solches Tempo vorlegte, dass ich mehr oder weniger rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten – eine verblüffende Behändigkeit, bedachte man den Unterschied in unserem Alter und in unserem Körpergewicht. »Und es amüsiert mich noch weniger, wenn man mich dazu zwingt, junge Männer unter meine Fittiche zu nehmen, die nicht über die geringste Ausbildung verfügen und die keine Ahnung haben, wie man sich bei Hofe zu benehmen hat.«
    »Jawohl, Herr Graf«, wiederholte ich, während ich neben ihm herlief und mir Mühe gab, möglichst ehrerbietig zu erscheinen.
    Als wir die Treppen des Palastes hinaufstiegen, blickte ich voller Ehrfurcht auf die schweren Goldrahmen der Spiegel und Fenster. Weiße Alabasterstatuen traten aus den Wänden hervor und standen triumphierend auf ihren Sockeln, ihre Gesichter abgewandt von den imposanten grauen Kolonnaden, die vom Fußboden bis zur Decke reichten. Durch geöffnete Türen, die zu einer Flucht von Vorräumen führten, konnte man prächtige Gobelins und Gemälde erkennen, auf denen berühmte Herrscher zu sehen waren, wie sie hoch zu Ross ihre Männer in die Schlacht führten. Der Marmorboden unter unseren Füßen hallte laut von unseren Schritten wider. Es überraschte mich, dass sich ein Mann von Graf Tscharnetzkis Leibesfülle – und seine Leibesfülle war in der Tat beachtlich – mit einer solchen Leichtigkeit durch die Flure bewegte. Jahrelange Übung, vermutete ich.
    »Doch hin und wieder versteift sich der Großfürst auf derlei Grillen«, fuhr er fort, »und wenn dies der Fall ist, so bleibt uns nichts anderes übrig, als ihm seinen Willen zu tun. Ungeachtet der Folgen.«
    »Herr Graf«, stieß ich hervor und blieb kurz stehen, fest entschlossen, ihm meine Mannhaftigkeit zu demonstrieren, ein Ansinnen, das jedoch durch die Länge der Zeit

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