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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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und mit rasendem Puls fragte ich mich verzweifelt, wie in aller Welt ich mein Verschwinden jemals erklären sollte. Vielleicht war es das Beste, einfach so viele Treppen wie möglich hinabzustürmen, bis ich wieder außerhalb des Palastes gelandet war, und dann schleunigst davonzulaufen, zurück nach Kaschin. Ich könnte einfach so tun, als hätte diese ganze Episode niemals stattgefunden.
    Aber wie durch Zauberei fand ich mich in dem Flur wieder, von dem ich ursprünglich aufgebrochen war. Ich hielt an, beugte mich luftschnappend nach vorn und merkte beim Wiederhochkommen, dass ich nicht mehr allein war.
    Ein Mann stand am Ende des Flures, unmittelbar vor einer geöffneten Tür, aus der ein gleißendes Licht drang, das ihn beleuchtete und beinahe wie einen Gott erscheinen ließ. Ich starrte ihn an und fragte mich, welche Schrecken mir dieser Abend wohl noch bescheren mochte. Wer war dieser in einen weißen Heiligenschein getauchte Mann? Aus welchem Grund hatte man ihn mir geschickt?
    »Bist du Jatschmenew?«, fragte er ruhig, mit einer leisen, freundlichen Stimme, die mich dennoch ohne Schwierigkeiten erreichte.
    »Ja, mein Herr«, erwiderte ich.
    »Bitteschön«, sagte er, wobei er sich umdrehte und auf den Raum hinter sich wies. »Ich dachte schon, du seist mir verloren gegangen.«
    Ich zögerte nur einen kurzen Moment, bevor ich ihm folgte. Natürlich war ich diesem Mann vorher noch nie begegnet, hatte ihm noch nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, doch ich wusste sofort, wer er war.
    Seine Kaiserliche Majestät, Zar Nikolaus II ., Kaiser und Selbstherrscher von ganz Russland, Großfürst von Finnland, König von Polen.
    Mein Arbeitgeber.
    »Entschuldige, wenn ich dich habe warten lassen«, sagte er, als ich in den Raum trat und er die Tür hinter mir schloss. »Aber du kannst dir bestimmt denken, dass es jede Menge Staatsangelegenheiten gibt, um die ich mich kümmern muss. Und es war ein sehr, sehr langer Tag. Eigentlich hatte ich gehofft …« Er hielt kurz inne, als er sich umdrehte, und starrte mich erstaunt an. »Was in aller Welt machst du da, Junge?«
    Er stand links neben seinem Schreibtisch, offensichtlich davon überrascht, mich etwa drei Meter von ihm entfernt auf dem Boden knien zu sehen und zu verfolgen, wie ich mich mit ausgestreckten Händen nach vorn warf und meine Stirn in den weichen Teppich presste.
    »Euer Kaiserlichste Majestät«, stammelte ich, wobei meine Worte von dem purpurnen und roten Wollgewebe, in das ich meine Nase vergraben hatte, gedämpft wurden. »Darf ich Euch meinen aufrichtigen Dank für die große Ehre, die Ihr …«
    »Jesus, Maria und Josef! Steh auf, Junge, damit ich dich sehen und hören kann!«
    Als ich zu ihm aufschaute, zuckte die Andeutung eines Lächelns über seine Lippen – ich muss einen recht außergewöhnlichen Anblick dargeboten haben.
    »Euer Majestät mögen mir verzeihen«, erwiderte ich. »Ich wollte bloß sagen, dass ich …«
    »Und steh auf! «, sagte er mit Nachdruck. »Du siehst aus wie ein geprügelter Köter, wie du da so ausgestreckt auf dem Teppich liegst.«
    Ich stand auf, rückte meine Kleidung zurecht und versuchte, einen halbwegs gefassten Eindruck zu machen. Ich spürte, wie das Blut, das mir in den Kopf geschossen war, als ich auf dem Boden gelegen hatte, mein Gesicht puterrot anlaufen ließ, und mir war bewusst, dass es so scheinen musste, als machte mich seine Anwesenheit verlegen. »Bitte verzeiht mir«, sagte ich noch einmal.
    »Zunächst einmal kannst du damit aufhören, mich in einem fort um Verzeihung zu bitten«, sagte er, wobei er nun hinter seinen Schreibtisch trat und dort Platz nahm. »Während der letzten zwei Minuten haben wir beide nichts weiter getan, als uns beim anderen zu entschuldigen. Damit muss jetzt Schluss sein.«
    »Jawohl, Euer Majestät«, erwiderte ich mit einem Kopfnicken. Ich wagte es, ihn direkt anzuschauen, während er mich musterte, und war ein wenig überrascht von seiner äußeren Erscheinung. Er war nicht besonders groß, bestenfalls ein Meter fünfundsiebzig, wie ich schätzte, und dies bedeutete, ich hätte ihn um Haupteslänge überragt, wenn wir beide nebeneinander gestanden hätten. Er sah jedoch ziemlich gut aus, ein Mann von kompakter Statur, schlank und offenbar durchtrainiert, mit durchdringenden blauen Augen und einem fein gestutzten Vollbart, dessen Schnurrbartspitzen gewichst waren, aber ein wenig herabhingen, was womöglich auf die späte Abendstunde zurückzuführen war. Ich

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