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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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an mich erinnern, Sir. Ich bin David Frasier.«
    Ich starrte ihn an und zögerte, noch immer unsicher, wer er war, doch dann tauchte Soja hinter mir auf und rettete mich aus dieser peinlichen Situation.
    »David«, sagte sie. »Was in aller Welt hat Sie um diese Uhrzeit hierher verschlagen? Georgi, du erinnerst dich doch an Ralphs Freund hier, oder? Von der Hochzeit?«
    »Ja sicher, natürlich«, sagte ich, denn nun wusste ich wieder, wer er war. In angesäuseltem Zustand hatte er damals versucht, den Gopak zu tanzen und mit vor der Brust verschränkten Armen die Beine nach vorn geschmissen, krampfhaft darum bemüht, das Kreuz durchzudrücken. Er hielt dies offenbar für ein Zeichen der Zusammengehörigkeit, für eine Geste des Respekts vor seinen Gastgebern. Ich verschwieg ihm lieber, dass dieses Gehopse im Grunde nicht mehr war als eine gymnastische Übung, um sich vor einer Schlacht aufzuwärmen.
    »Mr Jatschmenew«, sagte er, wobei sein Gesicht verriet, wie bekümmert er war. »Mrs Jatschmenew. Ralph hat mich geschickt. Ich soll sehen, dass ich Sie erwische, hat er gesagt.«
    »Uns erwischen?«, fragte ich. »Was soll das heißen, uns erwischen ? Haben wir etwas verbrochen?«
    »Ralph hat Sie geschickt?«, fragte Soja, ohne mir Beachtung zu schenken. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erlosch. »Warum? Ist etwas passiert? Geht es um Michael? Oder um Arina?«
    »Es hat einen Unfall gegeben«, sagte er schnell. »Aber es ist wohl nicht so schlimm. Genaueres weiß ich leider nicht. Es geht um Arina. Sie war auf dem Heimweg. Von der Schule. Ein Auto hat sie angefahren.«
    Mir fiel auf, dass er in kurzen, abgehackten Sätzen sprach, und ich fragte mich, ob dies wohl seine natürliche Redeweise war. Eine Diktion, die mich an Gewehrfeuer erinnerte. Daran musste ich denken, als ich ihn reden hörte. An Gewehrfeuer. Soldaten an der Front. Lange Reihen von Jungen – Engländer, Deutsche, Franzosen, Russen –, dicht an dicht, die auf alles schossen, was sich vor ihnen bewegte, die einander töteten, ohne zu bemerken, dass ihre Opfer junge Männer waren, wie sie selbst. Jungen, deren Heimkehr von schlaflosen Eltern bangen Herzens erwartet wurde. Die Bilder strömten mir durch den Kopf. Bilder voller Gewalt. Ich konzentrierte mich ausschließlich auf sie. Ich wollte ihm nicht zuhören. Ich wollte nicht hören, was dieser Mensch zu sagen hatte, dieser Bursche, der behauptete, man habe ihn geschickt, um uns zu erwischen, dieser Junge, der die Stirn hatte, mir zu sagen, er kenne meine Tochter. Wenn ich nicht hinhöre, dachte ich, wird es nicht passiert sein. Wenn ich die Ohren zusperre. Wenn ich an etwas völlig anderes denke.
    »Wo ist es passiert?«, fragte Soja. »Und wann?«
    »Vor zwei Stunden«, sagte er, und nun musste ich ihm einfach zuhören. »Irgendwo in Battersea, glaube ich. Man hat sie ins Krankenhaus gebracht. Ich glaube, es geht ihr gut. Ich denke nicht, dass es was Ernstes ist. Aber ich bin mit Ralphs Auto hier. Er hat mich gebeten, Sie abzuholen.«
    Soja zwängte sich an ihm vorbei und hastete durch die Tür nach draußen. Sie stürmte die Stufen hinauf in Richtung Auto, als wollte sie unverzüglich zum Krankenhaus aufbrechen, ohne einen von uns, wobei sie übersah, dass wir auf Mr Frasier angewiesen waren, wollten wir dort hingelangen. Ich blieb, wo ich war. Ich verspürte eine gewisse Taubheit in meinen Beinen sowie ein flaues Gefühl im Magen, und der Boden unter meinen Füßen begann mit einem Mal leicht zu schwanken.
    »Mr Jatschmenew«, sagte der junge Mann und trat auf mich zu, mit ausgestreckter Hand, so als glaubte er, mich stützen zu müssen. »Geht es Ihnen gut, Mr Jatschmenew?«
    »Ja, mir geht’s gut, Junge«, erwiderte ich barsch und wandte mich nun ebenfalls in Richtung Tür. »Los, kommen Sie. Wenn Sie uns dort hinbringen sollen, dann lassen Sie uns um Himmels willen losfahren.«
    Die Fahrt war eine Qual. Es herrschte starker Verkehr, und so brauchten wir fast vierzig Minuten von unserer Wohnung in Holborn bis zum Krankenhaus. Unterwegs bombardierte Soja den jungen Mann mit Fragen, während ich mucksmäuschenstill auf dem Rücksitz saß, den beiden zuhörte und nicht in der Stimmung war, etwas zu sagen.
    »Sie glauben, es geht ihr gut?«, fragte Soja. »Wieso glauben Sie das? Hat Ralph das gesagt?«
    »Ja, oder etwas in der Art«, erwiderte er, wobei er immer mehr so klang, als wünschte er sich, er wäre völlig woanders. »Er hat mich auf der Arbeit angerufen. Ich arbeite gleich beim

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