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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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genießen, wurde ihm gut gelaunt mitgeteilt. Er solle die Füße hochlegen und all die Dinge tun, die man nicht tun könne, wenn man hier tagaus, tagein schuften musste! Und genau das tat der arme Mann dann auch. Er ging nach Hause und erhängte sich noch am selben Abend.
    Als ich an meinen eigenen Ruhestand dachte, verschwendete ich keinen Gedanken daran, dass es mir so oder so ähnlich ergehen könnte. Zum einen erfreuten Soja und ich uns bester Gesundheit, und wir hatten nicht nur einander, sondern auch noch unseren neunjährigen Enkelsohn Michael, der uns jung hielt. Ich würde nie in eine Depression stürzen oder von einem Gefühl der Nutzlosigkeit übermannt werden. Das stand für mich fest. Trotzdem verspürte ich ein Jahr nach meiner Pensionierung das Bedürfnis, in die Bibliothek zurückzukehren – nicht um meine alte Beschäftigung wieder aufzunehmen, sondern um wieder in jene Atmosphäre der Gelehrsamkeit einzutauchen, die ich so sehr vermisste. Um mehr zu lesen. Um etwas über all jene Dinge zu lernen, über die ich noch immer nichts wusste. Schließlich war ich während meines gesamten Arbeitslebens von Büchern umgeben gewesen, hatte aber nur selten die Gelegenheit gehabt, mich näher damit zu befassen. Und so beschloss ich, jeden Nachmittag für ein paar Stunden in die Ruhe der Bibliothek zurückzukehren. Da ich meinen ehemaligen Kollegen keinen Ärger bescheren wollte, versteckte ich mich für gewöhnlich vor ihnen – damit sie sich nicht dazu verpflichtet fühlten, ein Gespräch mit mir anzuknüpfen. Und ich war zufrieden mit diesem Arrangement, glücklich angesichts der Vorstellung, die mir noch verbleibenden Jahre damit zu verbringen, mich autodidaktisch weiterzubilden.
    Als ich im Spätherbst des Jahres 1970, kurz nach meinem einundsiebzigsten Geburtstag, eines Nachmittags an meinem üblichen Tisch saß, fiel mir eine Frau auf. Sie war schätzungsweise etwa dreißig Jahre jünger als ich und stand an einem der Bücherregale. Sie tat so, als studierte sie die Titel, obwohl klar zu erkennen war, dass sie sich nicht im Mindesten dafür interessierte, sondern in Wirklichkeit damit beschäftigt war, mich zu beobachten. Ich maß dem keine große Bedeutung bei. Womöglich war sie in Gedanken versunken und merkte überhaupt nicht, dass sie in meine Richtung starrte. Ich vertiefte mich wieder in mein Buch.
    Am darauffolgenden Nachmittag bemerkte ich sie jedoch erneut. Sie saß an einem Tisch, nur drei Plätze von meinem entfernt, und beäugte mich verstohlen – eine Erfahrung, die mich zugegebenermaßen nicht nur irritierte, sondern auch zunehmend verärgerte. Wäre ich jünger gewesen, hätte man meinen können, sie habe sich irgendwie in mich verguckt, doch angesichts meines Alters war das höchst unwahrscheinlich. Ich war schließlich in mein achtes Lebensjahrzehnt eingetreten. Die wenigen mir noch am Kopf verbliebenen Haare offenbarten einen unebenen, von Leberflecken übersäten Schädel. Meine Zähne waren zwar noch meine eigenen und noch halbwegs weiß, doch sie fügten meinem Lächeln nichts hinzu, wie sie es vielleicht früher getan hatten, als ich noch jünger gewesen war. Und obgleich meine Beweglichkeit nicht über Gebühr vom Alter beeinträchtigt wurde, bediente ich mich seit einiger Zeit eines feinen Malakkaspazierstocks, um auf meinem täglichen Weg von und zur Bibliothek mein Gleichgewicht besser halten zu können. Kurzum, ich war kein Adonis und schon gar nicht ein Liebesobjekt für eine Frau, die halb so alt war wie ich.
    Ich überlegte, ob ich mich woanders hinsetzen sollte, entschied mich aber dagegen. Schließlich hatte ich in den vergangenen fünf Jahren jeden Nachmittag an diesem Platz gesessen. Das Licht war dort gut, was mir das Lesen erleichterte, denn meine Sehkraft hatte mit der Zeit doch ein wenig nachgelassen. Außerdem war es dort ruhig, denn ich war ringsum von Bücherregalen umgeben, deren Sachgebiete so unattraktiv waren, dass mich kaum jemand störte. Warum sollte ich den Platz wechseln? Wenn jemand den Platz wechseln sollte, dann doch wohl sie. Dies war mein Platz.
    Die Frau ging kurz darauf. Im Vorübergehen hielt sie kurz inne, so als wollte sie mich ansprechen, schien es sich jedoch dann anders zu überlegen und verschwand.
    »Du wirkst besorgt«, sagte Soja zu mir, als wir an jenem Abend zu Bett gingen. »Ist irgendetwas passiert?«
    »Nein, es ist alles in bester Ordnung«, sagte ich und lächelte sie an. Ich wollte die Angelegenheit lieber für mich behalten,

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