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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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hervorbrachte, war ein gewaltiger Wutschrei, der tief aus meinem Innern kam. Ein bloßer Bruchteil des Schmerzes, den sie mir zugefügt hatte und der meine Seele so fest umschnürte wie kein anderer Kummer meines Lebens.
    Wir hatten so lange darauf gewartet, ein Kind zu bekommen. Wir hatten so viele Enttäuschungen erlebt. Und dann war sie eines Tages da. Unsere kräftige, kerngesunde Arina, die man einfach lieb haben musste.
    In der Zeit unmittelbar nach ihrer Geburt platzierten Soja und ich sie manchmal in der Mitte unseres Bettes, und dann saßen wir zu beiden Seiten von ihr auf der Matratze und betrachteten sie, wobei wir überglücklich lächelten. Wir legten uns ihre winzigen Füße auf den Handteller und staunten darüber, wie fröhlich die Kleine war – wir konnten es kaum fassen, dass uns schließlich doch noch ein Kind beschert worden war.
    »Das bedeutet Frieden «, antworteten wir, wenn uns jemand fragte, wie wir auf ihren Namen gekommen waren, und genau das war es auch, was sie uns bescherte: Frieden, die tiefe Befriedigung des Elternseins. Wenn sie schrie, fanden wir es frappierend, dass ein so kleines Wesen so laute Geräusche produzieren konnte. Bei meinem täglichen Heimweg von der Bibliothek konnte ich mich mit Müh und Not daran hindern, auf dem Bürgersteig in einen Sprint zu verfallen, so sehr fieberte ich dem Moment entgegen, wo ich nach Hause kam und den Ausdruck wahrnahm, der auf ihrem Gesicht auftauchte, sobald ich durch die Tür in unsere Wohnung trat, jenen Gesichtsausdruck, der mir sagte, dass sie mich während der letzten acht Stunden möglicherweise vergessen hatte, aber dass sie sich nun, wo ich wieder zurück war, an mich erinnerte und mir zeigte, wie schön sie es fand, mich wiederzusehen.
    Als Arina heranwuchs, war sie nicht schwieriger, aber auch nicht pflegeleichter als andere Kinder. In der Schule machte sie sich gut, wobei ihre Noten weder herausragend waren noch Anlass zur Sorge gaben. Sie heiratete jung – zu jung, wie ich seinerzeit fand –, doch ihre Ehe war glücklich. Ob sie mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte wie ihre Mutter, vermag ich nicht zu sagen, doch es dauerte sieben Jahre, bis sie schließlich bei uns am Wohnzimmertisch Platz nahm und uns bei den Händen fasste, um uns mitzuteilen, dass wir bald Großeltern sein würden. Michael kam zur Welt und erfüllte uns mit Freude. Bei einem Abendessen erwähnte sie einmal, dass sie ihm gern ein Brüderlein oder ein Schwesterlein schenken würde. Nicht sofort, aber demnächst. Und wir waren hocherfreut von dieser Neuigkeit, denn uns behagte die Vorstellung von einem Haus voller Enkelkinder, die uns besuchen kamen.
    Und dann starb sie.
    Arina war sechsunddreißig, als sie uns genommen wurde. Sie arbeitete als Lehrerin an einer Schule nahe dem Battersea Park. Eines Spätnachmittags fegte ihr auf dem Heimweg auf der Albert Bridge Road ein Windstoß den Hut vom Kopf, woraufhin sie, ohne nach links oder rechts zu schauen, auf die Straße lief und von einem Auto erfasst wurde. So schwer es mir auch fällt, dies einzuräumen, es war einzig und allein ihre Schuld. Der Wagen hätte ihr nie und nimmer ausweichen können. Natürlich hatten wir ihr beigebracht, Obacht zu geben, wenn sie eine Straße überquerte – aber wer von uns lässt sich nicht hin und wieder von etwas ablenken und vergisst dann, was man ihm beigebracht hat? Der Hut wurde Arina vom Kopf geweht, und sie wollte ihn wiederhaben. So einfach war das. Und es kostete sie das Leben.
    Soja und ich erfuhren erst später am Abend von dem Unfall, als es überraschend an unserer Haustür klopfte. Ich öffnete, und draußen stand ein blasser junger Mann, der mir irgendwie bekannt vorkam, den ich aber nicht sofort einordnen konnte. Sein Gesichtsausdruck war bekümmert, ja fast schon verängstigt, und in seiner Hand hielt er eine braune Stoffmütze, die er in einem fort zwischen den Fingern hin und her wandern ließ. Ich wusste nicht warum, aber ich verfolgte Letzteres immer gebannter, während er sprach. Seine Hände waren ziemlich knochig, mit einer beinahe transparenten Haut, meinen eigenen Altmännerhänden nicht unähnlich, obgleich er mindestens vierzig Jahre jünger war als ich. Ich betrachtete seine Hände, während er sprach, vielleicht um mich zu beruhigen, denn irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck ließ mich erahnen, dass mir nicht gefallen würde, was er zu berichten hatte.
    »Mr Jatschmenew?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Ich weiß nicht, ob Sie sich noch

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